Viviane Reding über Frauenquote: "Warten allein reicht nicht"
EU-Kommissionsvizechefin Viviane Reding über die Frauenquote in Topjobs, die Gefahr eines europäischen Flickenteppichs und die Gefahren des Nichtregulierens.
taz: Frau Reding, 2011 haben Sie erklärt, dass Sie bis 2012 abwarten, ob die europäischen Unternehmen mehr Frauen in Topjobs bringen. Wie ist die Bilanz?
Viviane Reding: Ich werde Anfang März meine Analyse vorlegen. Zusammen mit dem Europaparlament, das sich bereits im Juli 2011 für eine gesetzliche Initiative ausgesprochen hat, falls Selbstregulierung scheitern sollte, werde ich dann entscheiden, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen.
Nun hat sich im vergangenen Jahr nicht sehr viel geändert. Was könnte nun folgen?
Ich will der Analyse nicht vorgreifen. Aber ich bin doch etwas enttäuscht, dass bis heute nur acht Unternehmen unsere freiwillige Selbstverpflichtung für mehr Frauen in den Führungsetagen Europas unterzeichnet haben. Wir haben zudem klar und deutlich gesehen, dass es gerade in jenen Staaten zu einem Fortschritt kam, in denen eine Quote eingeführt wurde.
Wie auch immer Ihre Initiative aussehen wird, der Europäische Rat muss am Ende zustimmen. Wie sind Ihre Aussichten?
Wir haben bereits heute in sechs Mitgliedstaaten gesetzliche Quoten. Eine Reihe weitere Staaten denkt ernsthaft darüber nach. Wir sollten einen Flickenteppich vermeiden, da viele der Unternehmen grenzüberschreitend tätig sind. Die Quote soll eine Hilfe und keine Bremse sein. Sie wird unter anderem auch am 17. Februar im Ministerrat für Beschäftigung und Sozialpolitik diskutiert werden.
VIVIANE REDING, 60, ist gelernte Journalistin, Mitglied der Christlich Sozialen Volkspartei (CSV) in Luxemburg und Vizepräsidentin der EU-Kommission sowie Kommissarin für Justiz.
Frauen, die an der Spitze angekommen sind, sind oft gegen die Quote. Wie erklären Sie sich das?
Die Frauen, die es selbst geschafft haben, haben vielleicht Angst, dass mehr Frauen nachkommen und so ihre einzigartige Leistung gemindert werden könnte. Deshalb ist es gut, dass Frauen, die selbst in einem Topjob sitzen, diese Debatte voranbringen. Wir machen das ja nicht für uns selbst. Eine ausgeglichene Führungsstruktur bringt bessere Ergebnisse, das wissen wir aus zahlreichen Studien. Und Frauen sind sehr häufig bestens qualifiziert. Wir können nicht auf sie verzichten.
Dann braucht man ja nur zu warten, bis die Wirtschaft sich darauf einstellt.
Wir wissen aber, dass es leider strukturelle Barrieren gibt. Deshalb reicht das Warten allein nicht. Wir haben doch gesehen, dass das Nichtregulieren gerade nicht zu schnellen Ergebnissen führt. Das hat gerade die deutsche Vereinbarung aus dem Jahr 2001 gezeigt, die nur äußerst magere Ergebnisse gezeitigt hat.
Frauenministerin Kristina Schröder (CDU) will, dass Unternehmen sich eine beliebige Quote geben und steht damit allein: Das parteiübergreifende Bündnis unter www.berlinererklaerung.de möchte mit Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) eine feste 30-Prozent-Quote in Vorständen und Aufsichtsräten. Es sucht noch UnterstützerInnen. Kommissionsvizechefin Viviane Reding will dassselbe. Sie hält Freitag einen Vortrag zum Thema in der Konrad-Adenauer-Stiftung.
In Deutschland hat sich eine fraktionsübergreifende Initiative zur Einführung einer 30-Prozent-Quote gebildet. Würden Sie die unterschreiben?
Natürlich, denn sie geht ganz genau in die Richtung, die auch ich im März 2011 angegeben habe. Überall in Europa wird die Quote gefordert: Die Zeit ist offenbar reif für eine Quote.
In Deutschland ist die Frauenministerin aber gegen eine feste Quote. Ist sie ein Sonderfall?
Das ist vielleicht auch eine Frage von Alter und politischer Erfahrung. Die Frage ist, ob man einen Fortschritt haben möchte. Wenn man das möchte, braucht man offenbar eine feste Quote. Stillstand ist jedenfalls keine Option.
Viele Frauen haben die Sorge, dass sie dann nur noch wegen ihres Geschlechts befördert werden und ihre Qualifikation damit infrage gestellt ist.
Haben Sie diese Sorge schon mal von Männern gehört? Die bekommen auch nicht alle ihre Posten, weil sie so optimal qualifiziert sind. Frauen unterschätzen oft die "old boys networks". Um dieser Sorge entgegenzuwirken, arbeitet die Europäische Kommission mit Wirtschaftsuniversitäten zusammen, um Schritt für Schritt einen Pool von Frauen zu etablieren, die ins Topmanagement passen. Die Unis haben auch gesehen, dass ihre Absolventinnen die besseren Abschlüsse machen, aber bei der Rekrutierung der Führungsschicht dann doch in der Ecke stehen. Frauen drängen sich oft weniger nach vorne. Auch das wollen wir ändern.
Sie selbst haben die gläserne Decke durchbrochen: Wie haben Sie das gemacht?
Ich habe mich nie in die Ecke stellen lassen, und ich habe mich selbst nie in die Ecke gestellt. Ich war immer sehr davon überzeugt, dass ich es genauso gut kann wie ein Mann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz