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Virtuelle KonzertbesucheHerbert von Karajan weist den Weg

Die digitale Concert Hall der Berliner Philharmonie zeigt auch Filmdokus. Da kann man sich anschauen, wie Herbert von Karajan glorifiziert wird.

Film über Karajan: Ganz sehenswert, wenn man auf Oper, Rollkragenpullis und Privatjets steht Foto: imago

N eulich waren wir in der Philharmonie. In der Pause gab’s Sekt auf dem Balkon, und gespielt haben die, meine Herren! Der Karajan wird immer besser mit zunehmenden Lebensjahren, der alte Beethoven sowieso. Mit dem Wetter hatten wir auch richtig Glück. Zehn Grad Celsius spät nachts, und das beim Neujahrskonzert! Weil wir gerade so schön in Schwung waren, sind wir dann noch weiter ins Kino. Stellen Sie sich vor: Der Karajan war auch schon da.

„Impressionen über Herbert von Karajan“ lief, ein Streifen von Vojtěch Jasný. War kein Blockbuster, aber ganz sehenswert, wenn man auf Oper, Rollkragenpullis und Privatjets steht. Hauptsache Popcorn, aber frisch muss es sein! Schließlich sind wir noch mit ein paar Runden Old Fashioned an der Bar versackt. Kurz: A great night out.

Selbst gemixter Old Fashioned schmeckt hervorragend, wenn man keinen professionellen Vergleich mehr hat. Beethoven und Karajan kamen samt dessen Filmbiografie aus der digitalen Konserve der Berliner Philharmoniker, die ihre virtuelle Concert Hall – für die man sonst 149 Euro im Jahr zahlt – vorübergehend für alle freigeschaltet haben.

Eine wunderbare Erfindung: Endlich kann man auch mittwochnachmittags um halb zwei, ungeschminkt und in Latzhose auf dem Sofa lümmelnd, kulturellem Hochgenuss frönen und dabei niesen, so viel man will, ohne dass sich jemand zischelnd beschwert.

Eine magische Lücke

Am feinsten ist die Möglichkeit, nebenbei all das zu googeln, was die Programmhefte verschweigen. Epiphanische Erlebnisse sind das bisweilen. Zum Beispiel, wenn man bei Wikipedia den Grund für Mahlers gequälte Düsternis sucht und herausfindet, dass der arme Mann zeitlebens ein so schlimmes Hämorrhoidenleiden hatte, dass er mehrmals fast daran verblutet wäre. (Wenn man noch ein Stückchen tiefer ins Google-Wurmloch fällt, stößt man auf eine Diplomarbeit zum Thema, die davon erzählt, dass auch Napoleon und Jimmy Carter von ähnlichen Beschwerden so sehr geplagt wurden, dass der eine die Schlacht von Waterloo verlor und der andere sich vom ägyptischen Präsidenten Gebete wünschte.)

Karajans Dirigieren ist ein Erlebnis, gerade visuell, das ist bekannt. Dass es aber im Jahr 1978 noch möglich war, einen Film über ihn zu drehen, der auf magische Weise eine Lücke lässt zwischen den dreißiger Jahren und dem Jetset-Leben der Erfolgsjahrzehnte – das war mir neu. Es handelt sich nicht um irgendein Werbefilmchen über den Meister, sondern im Abspann erscheinen die Worte: „Im Auftrag von ZDF und ORF.“

Wie die Erzählerstimme das Genie umsalbt! „Durch seine schöpferische Kraft in der Musik entdeckt und entwickelt er das höhere Wesen der Menschen“, heißt es da. „Herbert von Karajan ist ein Wesen, welches uns in dieser chaotischen Welt den Weg weist. Glücklich diejenigen, die von ihm zu lernen vermögen!“ Das ist besonders lustig, weil es im Begleittext über den Film heißt: „Nirgendwo versucht dieser Film, Karajan zu glorifizieren.“

Zum Runterkommen gucken wir ein bisschen auf Youtube rum. Am Ende einer – ebenfalls öffentlich-rechtlich produzierten – Doku über Loriot finden wir heraus, dass er im Jahr 1989 Karajans Nachfolger bei den Philharmonikern werden sollte. Kein Witz! Schade, dass daraus nichts wurde.

So bleibt uns nur die schöpferische Kraft, mit der das höhere Wesen von Bülow uns den Weg in dieser chaotischen Welt wies. Und die Szene, in der er als Klaviertransporteur verkleidet das Orchester dirigiert, obwohl er nur eine Fliege fangen will. Immerhin: in Latzhose.

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Johanna Roth
taz-Autorin
ist freie Korrespondentin in den USA und war bis Anfang 2020 taz-Redakteurin im Ressort Meinung+Diskussion. Davor: Deutsche Journalistenschule, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag, Literatur- und Politikstudium in Bamberg, Paris und Berlin, längerer Aufenthalt in Istanbul.
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1 Kommentar

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  • Wenn man noch mehr über Gustav Mahler googelt, erfährt man, daß er von seiner nymphomanischen Frau Alma in tiefe Depressionen und schließlich in seinen frühen Tod getrieben wurde. Im Unterschied zu Karajan machte Mahler sich nichts aus Privatjets und Segeljachten und hatte als ehemaliger Jude auch mit den Nazis nichts am Hut. Das macht ihn so sympathisch, daß nicht einmal ein Auftritt in der Digital Concert Hall seiner Musik schaden könnte.