Virtuelle Kinderpornografie: Das fehlende Opfer
Wenn Ermittler nach Kinderpornografie fahnden, stehen sie manchmal vor ungewöhnlichen Problemen - zum Beispiel bei den Simpsons und bei Second Life.
Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich in den letzten Jahren Gerichte weltweit in Sachen Kinderpornografie bewegen. Denn unter anderem mit leistungsfähigen Grafikkarten hat eine ganz neue Art des Missbrauchs Einzug in die Computer gehalten: Kinderpornografie ohne Kinder.
Ein aktuelles Beispiel: Ein Mann aus Sydney hatte nicht autorisierte Simpsons-Comics aus dem Internet geladen, die unter anderem die drei Geschwister Bart, Maggie und Lisa bei sexuellen Handlungen zeigten. Der Vorwurf: Besitz von Kinderpornografie. Das Strafmaß des australischen New South Wales Supreme Court: 3.000 australische Dollar und eine zweijährige Bewährung. Den Berufungsantrag lehnte der Richter ab mit der Begründung, dass mit den Comics die Nachfrage nach Material, für das tatsächlich Kinder missbraucht würden, gefördert werden könnte.
Vergleichbar ist die Problematik bei "Second Life". In der virtuellen Welt, in der die Nutzer sich Avatare nach ihren Vorstellungen bauen können und durch Landschaften, Städte und eben auch zwielichtigere Einrichtungen steuern, gab es seit dem vergangenen Jahr bereits mehrmals Fälle, die von der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit Kinderpornografie verfolgt wurden. Doch unabhängig davon, dass es in der Praxis schwierig ist, einen Täter zu finden und, falls ein mutmaßlicher Täter identifiziert wird, die Verfolgung nicht in sämtlichen Staaten möglich ist, stellt sich die Frage: Ist das strafbar? Und wenn ja, nur die Verbreitung etwa des abgefilmten Materials, der Besitz oder schon das Steuern eines Kinder-Avatars? Schließlich ist davon auszugehen, dass auch bei den Kinder-Avataren in "Second Life" Erwachsene hinter dem Bildschirm sitzen.
Minderjährige haben offiziell keinen Zugang zu dem Spiel, der Betreiber Linden Lab gibt an, die Altersangaben der Nutzer mit "öffentlichen Datenbanken" zu überprüfen.
Therapeuten sehen die Vorwürfe der Justiz gegenüber mutmaßlichen Tätern differenzierter. Einige begreifen die Darstellungen von fiktiven Kinderpornos als eine Art Anleitung für die Realität, mit der bei den Tätern ein Gewöhnungseffekt eintritt. Andere bescheinigen ihnen dagegen eine reinigende Wirkung, wonach das Betrachten der Bilder den Tatdrang mildert.
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