Virtuelle Hinrichtung: Lehrer leiden unter "Cyber-Mobbing"

Brutale Web-Videos, Schmähungen im Chat: Rund 50.000 Lehrer werden laut GEW Opfer von "Cyber-Mobbing". Das hat mitunter böse Folgen.

Der Lehrer als neustes Opfer: Cyber-Mobbing. Bild: kallejipp/photocase

Es waren die Eltern eines Schülers, die Max Schneider darauf aufmerksam machten, dass auf einem Internetportal ein brutales Video über ihn kursiert. Und was der bayerische Lehrer dort zu sehen bekam, schockierte ihn: Auf eine animierte Figur ist sein Foto montiert. Dann schießt eine Pistole seinen Kopf weg. "Die eigene Hinrichtung zu sehen war schon heftig", erinnert sich Schneider, der in Wirklichkeit anders heißt.

Wie häufig sich Fälle wie dieser an deutschen Schulen abspielen, ließ sich bisher nur erahnen. Nun hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) eine Umfrage unter ihren Mitgliedern durchgeführt. Demnach kennt fast jeder Dritte der Befragten Lehrer oder Schüler, die Opfer von "Cyber-Mobbing" wurden, also im Internet, per E-Mail oder mit dem Handy beleidigt oder gedemütigt wurden. 8 Prozent der Lehrer gaben an, bereits selbst Opfer geworden zu sein. Hochgerechnet wären dies rund 50.000 betroffene Lehrer in Deutschland, schätzt die Lehrergewerkschaft.

Marianne Demmer, Vizevorsitzende der GEW, sprach von einer "diffusen Bedrohung" der LehrerInnen. "Viele haben das Gefühl, dass jederzeit im Internet etwas über sie kursieren könnte." Gleichzeitig warnte sie vor Dramatisierung. Zwei Drittel der Befragten gaben an, dass "normales Mobbing" außerhalb des Internets häufiger auftrete.

Für die Umfrage hatte die GEW 4.000 Mitglieder angeschrieben, von denen sich aber nur rund 500 LehrerInnen beteiligten. Das Ergebnis liefert dennoch einen Eindruck, wie Lehrer an den digitalen Pranger gestellt werden. Eine Lehrerin berichtet, dass Schüler im Internet unter ihrem Namen gechattet und ihre Kontaktdaten verbreitet hätten. Danach meldeten sich bei ihr Männer mit dem Wunsch nach Telefonsex. Einer der Befragten schildert einen Fall, bei dem Schüler den Stuhl einer Kollegin ansägten. Ihren Sturz filmten sie per Handy.

"Cyber-Mobbing" kann laut der Umfrage tiefgreifende Folgen für die Betroffenen haben. So wird von Schlafstörungen, Frühpensionierungen oder einem Schulwechsel nach den Vorfällen berichtet. Während die meisten Lehrer die Täter zur Rede stellten, die Schulleitung informierten oder die Polizei einschalteten, gaben Einzelne der Befragten an, sich aus Hilflosigkeit, Scham oder Schwäche nicht gewehrt zu haben.

Der bayerische Lehrer Max Schneider konfrontierte seine Klasse mit dem Hinrichtungsvideo über ihn. Viele der Schüler waren schockiert, der Täter stellte sich - und bereute. "Er hat mir glaubhaft versichert, dass er das alles nicht so gemeint hatte." Die Tragweite ihres Verhaltens ist offenbar vielen Schülern nicht bewusst. "Für sie sind ins Internet gestellte Videos nur ein Joke", sagt Heinz-Peter Meidinger, Chef des Deutschen Philologenverbands.

Zwei Drittel der von der GEW befragten LehrerInnen fänden es sinnvoll, an den Schulen einen Verhaltenskodex für den Umgang mit "Cyber-Mobbing" zu erarbeiten. Nur 5 Prozent gaben an, dass es einen solchen bereits an ihrer Schule gebe. Doch nicht nur die Schüler missbrauchen das Internet zum Mobben - sondern offenbar auch Lehrer und Eltern. 15 Prozent der Attacken gingen laut der GEW-Umfrage auf deren Konto. Einer der befragten LehrerInnen antwortete auf die Frage, warum er sich nicht gegen die Cyber-Attacken gewehrt habe: "Der Mobber ist Mitglied der Schulleitung."

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