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Village VoiceVom Gebrauch der Worte

■ „Fleischwolf“ von Fleischmann

Gitarre, sehr metallisch. Schlagzeug und Bass schwer. Ein dunkles Riff aus den Siebzigern. Das sind Fleischmann, klar. Aber dann: „Seid bereit Ihr Halsabschneider/ Es warten schon die Hungerleider/ In den Staub Ihr Speichellecker/ Seid bereit für den Vollstrecker/ Fahr zur Hölle, kehr zurück/ Denn was Du fürchtest, findet Dich.“ Worte, sehr viele Worte für Fleischmann. Und vor allem Worte, die etwas sagen wollen. Fleischmann haben ihr Konzept vom Metal als Jazz aufgegeben. Die Stimme von Norbert Jakschenties wird nicht mehr nur als eine weitere Soundfarbe eingesetzt, sondern soll Text verkünden. Deshalb eben auch kein lautmalendes Englisch mehr, sondern das härtere, schneidende Deutsch. Die Sprache, die vielleicht sogar schon immer besser zum Metal paßte. Diese Konzeptänderung war eine bewußte und wird besser verständlich, wenn man die Vergangenheit der drei von Fleischmann kennt. Alle sind Ostberliner, die sich schon vor dem Mauerfall in Westberlin angesiedelt haben. Also Menschen, die beide Seiten in ihrer ursprünglichen Verfassung kennen. Zudem waren Jakschenties, Martin Leeder und Gerriet Schultz auch noch nicht lange genug in Westberlin, daß sie diese Stadthälfte ihre neue Heimat hätten nennen können und hatten noch genügend Freunde in der alten, um das (Nicht-)Zusammenwachsen sehr persönlich mitzubekommen. Das äußert sich natürlich auch in einer gewissen Zerrissenheit. Das alte instrumentale Konzept ist noch da, wird nur leicht zurückgedrängt und mit einem gewissen Maß an Songstruktur ergänzt, das einfach nötig ist, wenn man Worte einsetzen will, die verstanden werden sollen. Trotzdem und vielleicht auch sehr absichtlich bleiben beim Hören nur Fetzen, einzelne gewichtige Wörter, die wie Monolithen im Raum stehen gelassen werden, als wären sie zu schwer, um weggeräumt zu werden: „Depression“, „unter Druck“, „Stille“, „gehärteter Stahl“. Auch bei anderen Bands des Genres war 1992 eine Bedeutungsvergrößerung des Wortes zu verzeichnen. Jingo de Lunch zum Beispiel entfernten sich zumindest teilweise von den kryptischen, symbolistischen Wortaneinanderreihungen und äußerten sich zum ersten Mal konkret politisch. Bei Fleischmann ist die Veränderung noch abrupter, denn sie gehen direkt vom Wort als Ton zum Wort als Bedeutung und lassen die Zwischenstufe Wort als Wort einfach aus. Auch deshalb sind die Texte, die der Schlagzeuger Leeder für „Fleischwolf“ schrieb, oft sehr aphoristisch. Es ist ein Spielen mit den Worten, die immer noch Platz lassen für die eigene Interpretation. Damit stehen sie fast schon in der Tradition des ostdeutschen Undergrounds, der nicht sagen dürfte, was er sagen wollte, aber trotzdem zu sagen hatte. Trotzdem covern sie aber ausgerechnet „Alles ist gut“ von der westdeutschen DAF. Mit Sinn fürs Programmatische adaptieren sie diesen überaus greisen Uropa des Techno so selbstüberzeugt, als wären Text und Harmonien schon immer für sie bestimmt gewesen. Das Verfahren, das sie in ihrer Sprache anwenden, ist dem vergleichbar, das in ihrer Musik benutzt wird. Ein Riff auseinanderpflücken, Raum lassen, bis zur Unkenntlichkeit verändern, viel Raum lassen und wieder zusammensetzen. Das wird zwar nicht mehr so ausufernd wie auf dem Debüt „Power of Limits“ praktiziert, aber ist immer noch ausführlich vorhanden, vor allem natürlich in den Instrumentals, die immer noch gut die Hälfte der Stücke ausmachen. Vor allem das – nicht der Gebrauch der Worte – sorgt dafür, daß Fleischmann zu den zwei, drei besten Berliner Metal-Bands gehören. Auch und gerade weil ihr Metal eben nicht einfach nur Metal ist. Und für meinen Geschmack sind sie besser als auf ihrer ersten Platte, weil sie mehr Raum zur Erholung lassen, sprich öfter als gewohnt stillere, fast schon balladeske Teile einflechten. Thomas Winkler

Fleischmann: „Fleischwolf“, Noise International

Record Release Party am 23.1. um 22 Uhr im Tacheles.

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