Village Voice: Folkloristisches Geraschel
■ Doch nie wieder 1:1 nachzuspielen (auch nicht von der Gruppe Aufwind): Der originale Klezmer aus dem ostjüdischen Schtetl
Im Zuge der Judaica-Renaissance der letzten Jahre sind allenthalben auch Klezmerbands aus dem Boden geschossen. Das ist in Chicago genauso wie in Berlin. Plötzlich meint man, die Engel über der Stadt sind Luftmenschen von Chagall.
Warum es gerade die vernichteten jüdischen Lebenswelten im Osten sind, warum die Schtetl mit den Schadchen, den Klezmorim und den Ghettorosen, die so viel nostalgische Verve auf sich ziehen, darüber läßt sich trefflich spekulieren. Doch was immer der Grund: Wenn hierzulande das „Sag nischt koinmal du gehst den letzten Weg“ gespielt wird, dann muß musikalisch der Abstand hörbar werden, der uns von jenen trennt.
Die Gruppe „Aufwind“, gegründet 1984, begann in einer Dreierbesetzung aus Claudia Koch, (Gesang, Violine), Hardy Reich (Gesang, Mandoline, Gitarre) und Andreas Rohde (Gesang, Bandoneon, Gitarre) – eine „Zupfgeigenhansel“-Besetzung also, der zunächst mal fehlt, was jiddische Musik urban, zickig, arabisch macht, nämlich die Klarinette. Bass und Klarinette kamen vor fünf Jahren dazu; die Gruppe tingelte durch Polen, Rumänien, Ungarn und erspielte sich ein Klezmer-Repertoire, mit dem sie Tourneen in Israel, Italien, Frankreich und den Niederlanden bestritten.
„Gassn Singer“ ist ihre zweite Aufnahme mit jiddischer Volksmusik nach „Lomp noch nischt farloschn“. Gleich beim ersten Stück, bei „A Glesele Lechajim“, einem — im schönsten Sinn des Wortes — leut- und weinseligem Gassenhauer, fehlt ein bißchen das Kraut und Rüben, das Kaschemmengeklapper, der Rauch. Es ist alles richtig, das Jiddische, der Tanzrhythmus, die Einsätze, und man hört sogar, daß die beiden Sänger lächeln. Aber's fehlt was.
„Dem sejdns nign“ besingt die Unsterblichkeit der jiddischen Melodie, oft das einzige, was die aus Rußland Vertriebenen in die Fremde mitnehmen konnten. Sanft und aalglatt geht das Klagelied in ein Gospel über – „Sing hallelujah“ – und zieht so, mit rasantem Baßlauf, den Weg der Emigranten von der Alten in die Neue Welt nach.
Einen kleinen Ausflug ins jiddische Vaudeville, auf die Volksbühne macht „Woss dergejstu mir die jorn“ (Warum raubst du mir die Jahre) mit zänkisch-krähender Claudia Koch und nörgelndem männlichen Counterpart. Um Schwiegermütter geht es, und darum, wer „schuldik is in dem“. Dies Stikl hörend fühlt man sich ein wenig in die Situation versetzt, wenn man gute Freunde zu einem öffentlichen Auftritt begleitet und plötzlich merkt, daß sie's vergeigen werden. Kringelnde Peinlichkeit ist die Folge.
In ein paar Liedern meint man, Joan Baez stünde um die Ecke, bereit, die Klampfe wieder an sich zu reißen. Erinnern Sie sich noch, als man überall „Donna, Donna, Donna“ säuselte — ein Lied, von dem „Zupfgeigenhansel“ einmal die jiddische Version gesungen haben. So wird folkloristisch eingeheimst, was doch nie wieder 1:1 nachzuspielen ist. Ein bißchen hört man auch die verständliche Sehnsucht nach dem Platz des Sängers in der Gemeinde („A gassn singer bin ich, a jeder ken mich gut“), den Hochzeitsgesellschaften, den Großfamilien, den Dorfräten.
Vielleicht hat, unterderhand, jiddische Folklore manchen ein bißchen ersetzt, was wir durch den Abschied von „House of the Rising Sun“, „This Land is Your Land“ oder den Degenhardt- Durchhalteparolen verloren haben. Karsten Troyke und „Jiddisch Anders“, eine andere Berliner Jiddischisten-Formation, versetzen Klezmer stets mit einem wüsten Ostjazz, der eher nach Alexanderplatz klingt als nach dem Marktplatz in Bialystock, und wo aber die aufmüpfige Wendigkeit der „Klezmorim“ eher gewahrt scheint als im alles umarmenden folkloristischen Geraschel. Mariam Niroumand
Aufwind: „Gassensinger“, Nebelhorn, Berlin 1023
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