Village Voice: Spannung? Entspannung!
■ West-östlicher Divan mit „Rain on Bamboo“
Tao? Zen? Buddha? Tai-Chi? Alles schon mal gehört – oder sich gar selber dran versucht, in krisengeschüttelten Selbsterfahrungszeiten? Dann ist der geneigte Hörer richtig zwischen diesen Zeilen. Sie arbeiten sich nämlich an einem Projekt ab, das asiatische und westliche Musikkultur zu verschmelzen unternimmt. „There's more to this than meets the eye“ ist dem jüngsten Opus einer Berliner Band namens Rain on Bamboo vorangestellt, das selbige auch noch – natürlich hochambitioniert „Sleep & Poetry“ betitelt hat. Ja, es gibt mehr als das Auge zu sehen vermag, Schlaf und Poesie und all diese künstlerischen Sachen. Oder einfach künstliche Sachen?
Rain on Bamboo seien mehr als ein lokales Thema, tönt die Plattenfirma, nämlich zeitlos gut, und schon kullern jede Menge künstlerische (künstliche?) Vergleiche an. Offenes Konzept: einerseits streng strukturiert, andererseits impressionistisch verspielt. Brian Eno. David Sylvian – man weiß, worauf angespielt wird: Vorsicht, Drang nach Höherem. East meets West im sanften Trance, und äußern wir mal einen ganz schrecklichen Verdacht: Weg und Ziel sollen dasselbe sein, heimische Ganzheit mit einem guten Schuß Exotik. Jawohl. Aber ein bißchen ist es hier wie mit asiatischem Essen, das den Gepflogenheiten europäischer Würzkunst angepaßt wurde. Was zu beweisen wäre.
Da haben wir einmal auf der instrumentalen Seite eine indianische Flöte, die immer gut ist, wenn es darum geht, ein gerüttelt Maß grenzenlose Wehmut zu verklanglichen. Dann, von wegen westlich-moderner gefühlsmäßiger Geworfenheit, ein Saxophon. Die Drums sind beidseits kompatibel, west- wie östlich. Und für die gute, alte Welt Europens schrammeln Bass und Akustische. Selbst der Fortschritt ist in Form eines Samples vertreten. Aber hier werden wir fast boshaft, und das wollten wir ja eigentlich nicht.
Also, marsch auf Klangreise. Oder vielmehr: Schweb. Es regnet nämlich ganz leise, und jeder Tropfen hat auf Bambus einen anderen Klang. Stücke von eher inneren Weltfahrten werden zu Gehör gebracht, und etliche davon übereilen locker die epische Sieben-Minuten-Grenze. Von wegen der Versenkung vielleicht. Der Mensch, der doch gut und gern König sein könnte, kreuzt nun einmal unzählige Flüsse, bevor er in die Gnade vollkommener, transzendenter Ich-Verlorenheit gelangt. Währenddessen verrinnt die Zeit mit Gebrüll, und das Leben sinkt hochbedeutsam in die Herbstsonne. Man ist atemlos „on the run“, trudelt im Zeitstrom, und „the devil drives his car“. Das muß europäisch intendiert sein, von wegen Zivilisationskritik, aber Gott, wir werden ja schon wieder boshaft.
Aber bald läutert ein asiatisches Zupfen und Trommeln die Farben der Seele – Innerlichkeit contra urban noise, „filling your heart with desire“. Das muß jedoch nicht unbedingt Dschungel, das kann genauso gut die Musik elegischer Großstadtnächte sein, in denen der Asphalt vor Nässe glänzt – auch wieder ein tongewordenes Klischee. Tokio und Berlin – ist es denn wirklich alles dasselbe, möchte man flehen? Die Kellerromantik früher Crime And The City Solution wie Hüttenpoesie? Rain on Bamboo präsentiert überall den dunkel verrätselnden Singsang, der das Firmenprofil des Strangeways-Labels immer so schön konsequent prägt. Einen Tick melancholisch muß es schon sein, nur fehlt hier das Verrückte. Oder besser das klar Exotische, das uns versprochen wurde. Was kredenzt wird, ist ein weiterer Silbertaler kosmopolitischer Dark Waves, der diese ganze Ost-West-Philosophie im Überflieger reduziert. Man treibt und treibt die Speisekarte entlang, ohne den kulinarischen Schönheitsflash zu erleben. Ein schmackhaft assimilierter Appetithappen allenfalls. Aber kein asiatisches Hauptgericht. Sozusagen etwas indifferent. Und schade eigentlich. Anke Westphal
Rain on Bamboo, „Sleep and Poetry“. Strange Ways Records
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