Village Voice: Verhängnis der späten Geburt
■ „Aggravated Assault“, das Debut von D Base 5
Wir befinden uns auf einer Draisine. Es wird eifrig gepumpt und doch hat man wenig Hoffnung, den Zug, der vor uns fährt, einholen zu können. Der steht zwar gerade mal wieder im Bahnhof und die Fahrgäste machen ein gemütliches Päuschen, während der sie ihr Geld zählen, aber der Weg ist viel zu weit, um nah heran zu kommen. Immerhin haben die fünf, die versuchen, die Draisine schnell genug zu machen, gerade auch eine kleine, persönliche Station geschafft.
Nach verschiedenen Demos und der Mini-CD „Last Sucker“ veröffentlichten D Base 5 nun ihre erste Vollzeit-CD. Und „Aggravated Assault“ würde – wenn auch vielleicht in der zweiten Klasse – im so lange schon abgefahrenen Zug ganz sicherlich nicht unangenehm als Schwarzfahrer auffallen.
Völlig souverän dealt das in Berlin ansässige Quintett um den US-amerikanischen Sänger Joe Hulligan mit den unverzichtbaren Elementen eines fröhlich-erfolgreichen Metal-Funk-Crossover. Da gibt es die herzinfarkthektischen Basslines der Red Hot Chili Peppers, ebenso wie die auf den Punkt gespielten Metal-Gitarren- Riffs von Rage Against The Machine oder die fast peinlich popfixierten Refrains von Clawfinger. Natürlich ist es ein nahezu unmögliches Unterfangen, in einem solchen, inzwischen finanziell recht erfolgreichen und somit ausführlich ausgeleuchteten Genre ein eigenes Profil zu entwickeln, aber bei „Aggravated Assault“ läßt einen das Gefühl nicht los, daß D Base 5 selbst zuviel vergleichbare Musik gehört und vor allem zu lange darüber nachgedacht haben.
Die Folgen sind: komische Brüche, um nicht die offensichtlichen Vorgaben zu wiederholen, und gleichzeitig Anklänge, die fast wie ein Zitat gesetzt werden und dann doch wie ein Fremdkörper wirken. So in dem Antifa- Song „Don't Be Afraid“, wo die Titelzeile im Chor bosärtig molldröhnend hinausgepreßt wird, wie das der Background-Gesang bei Clawfinger prinzipiell zu tun pflegt.
Zu deren Klasse fehlt D Base 5 allerdings („zum Glück“ werden sie sagen) die dummdreiste Provokation mit zweideutigen Inhalten und die brutale Dumpfheit, die bei Clawfinger vor allem in den brachialen, wenig eleganten Raps zum Ausdruck kommt. D Base 5 sind da doch einige Klassen smoother. Aber die filigrane Verspieltheit der Chili Peppers ist auch nicht ihr Ding, die Gitarren machen selten eine Ecke zu viel. Die knappe dreiviertel Stunde von „Aggravated Assault“ scheint beherrscht von dem Bemühen, sich nicht zu offensichtlich in die Nähe großer Namen zu begeben. Bei der Kopie- Vermeidung kommt dann aber des öfteren mal der flockig dahingerotzte Groove und damit eines der wichtigsten Elemente des Funk-Metal ins Stocken.
Bei der ausführlichen Fehleranalyse scheint ihnen das selbstverständliche Losrocken verlorengegangen zu sein, das ihre Live-Auftritte und auch noch ihre Demos auszeichnete. Man merkt in jedem Ton, daß da das Potential zur ersten Klasse vorhanden ist, aber das Verhängnis der zu späten Geburt ein tragisches Scheitern vorprogrammiert. „Aggravated Assault“ ist zu unentschlossen, um ein Klassiker zu werden, aber immer noch gut genug, recht einzigartig für Berliner Verhältnisse zu sein und sich zum Beispiel mit Gunjah um die Regionalmeisterschaft zu streiten. Da verzeiht man dann auch den textlichen Ausrutscher im Titelsong, der auf schon fast rührende Weise die Angst des Mannes vor der starken, selbstbewußten Frau beschreibt. „I let her lead the way to a world I only thought existed/ Now I only wish to God I could have resisted“, diese Schüchternheit kontrastiert auf obskure Weise mit dem auf dem Rest der Platte dominierenden Bewußtsein der eigenen Stärke, die sich in Songtiteln wie „Power To Rise“ oder „Self Control“ ausdrückt, wo eine Welt beschrieben wird, die „rough“ ist. Da müssen die Jungs „tough“ durch gehen. Auf ihrer Draisine weht ihnen halt noch der Wind um die Nase. Thomas Winkler
D Base 5: „Aggravated Assault“ (Balls Records/ EFA)
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