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Village VoiceSechzehn Meilen zum Highway

■ Eb Davis und Big Jay Mc Neely haben den flotten Good Time Blues, der Berliner Studiomusiker Chris Deschner entwickelt sich und war endlich mal in Nashville

Die Musik ist ein seltsames Spiel und geht mit Vorliebe ihre eigenen Wege. Eine der denkbaren Varianten: Nach rockistischen Verirrungen der Jugend über straighten Punk ein Flirt mit deftigem Grunge, der durch den Ausfall Kurt Cobains in Richtung Beck gelenkt wird. Dessen Lo-Fi als Vorstufe für (je nach Geschmack) Jon Spencers Blues Explosion, Lou Barlows Folk Implosion oder Doo Rags Mississippi- Delta-Impressionen. Und eines Tages hältst du stolz eine seltsame Slide-Guitar-Compilation wie „You can't get that stuff no more“ in den Händen und murmelst geheimnisvoll was von Blind Lemon Jefferson oder Washboard Sam, wo es früher „Genesis P. Orridge“ oder gar „G. G. Allin“ hieß.

Doch der Blues, den der in Memphis aufgewachsene Eb Davis und sein Spezialgast Big Jay Mc Neely auf Fool For The Ladies haben, eignet sich leider nicht für derartige Wiederentdeckungen, die Hipsters tägliches Brot gegen den kleinen Erfahrungshunger zwischendurch sind. Nenn es flotten Good Time Blues, was da freudig swingt und mit fetten Bläsern einer eher mal traurigen Musik die angenehmeren Seiten abgewinnt – „Jubel, Trubel, Blues!“ statt „Blues is just another word for nothing left to lose.“

Und so verhält sich dann auch Eb Davis' „When a Blues Man Sings the Blues“ zum „King Fish Blues“ von Hudson Whittaker alias Trampa Red über den Daumen gepeilt wie die neue Bang&Olufsen-Anlage mit Airbag und Spoiler zum selbstgebauten Kurzwellen-Detektorradio. Um diese Platte zu mögen, muß man supersatte Saxophonsoli abkönnen, eine richtig dicke Mütze voll Soul vertragen – und auf eine Verwertung zweiten Grades vorerst verzichten können. Darüber hinaus ist die Jimmy-Reed- Schnulze „Honest I Do“ nun wirklich nur etwas für den charakterlich bereits gefestigten Musikfreund, dessen Boxen nicht bei jeder Ladung Schmalz den Geist aufgeben.

Doch neben Memphis gibt es noch eine andere Stadt jenseits des Großen Teichs, deren Name bereits so was von Legende ist, daß jeder Truck stoppt: „Ich möchte so gerne mal nach Nashville, Nashville, Tennessee...“ Da schmelzen nicht nur die Herzen von Brummikutschern, Filmemachern und Ethnologen – der Berliner Studiomusiker Chris Deschner der (auch schon wieder 20 Jahre her) der gereiften Jugend noch als Mitglied von Jesse Ballards und John Vaughans Bands in Erinnerung sein mag, hat sich diesen langgehegten Traum erfüllt. Dort angekommen, traf er nicht nur den Songwriter, Vietnamveteranen und manischen Straßenprediger David Munyon – „Special Thanks to: Our Living God and Jesus Christ and all His Angels... The U.S. Army... Very Special Thanks to: Paramahansa Yogandanda“ etc. – der ihn unlängst im Huxley's seine Schallplattenerlösungsparty als Vorprogramm feiern ließ. Auch zwei Handvoll amerikanischer Kollegen fanden sich ein, um ihn 1992 und 1994 in den Church Street (!) Studios bei den Aufnahmen für das nun vorliegende Album Cherokee Moon zu unterstützen. Immerhin 18mal geht es querfeldein von countryfizierter Gitarrenmucke über Bluegrass-Traditionals zu folkigen Nummern – und neben einem kitschigen „Crying, Waiting, Hoping“ von Buddy Holly findet sich tatsächlich eine richtige Perle wie „Sixteen Miles to Seven Lakes“ von Gordon Lightfoot. Stammkunden der Labels Glitterhouse und Blue Rose werden genauso wie die Jungs vom Fernfahrerstammtisch an der Autobahnraststätte also nicht wirklich enttäuscht sein und die Platte in ihr hoffentlich großes Herz schließen – aber langfristig ist das Bargeld bei Cash, Chesnutt, Kuepper & Co. doch irgendwie besser angelegt. Daran vermag nicht einmal das tolle Booklet – ein richtiges 40-Seiten-Büchlein, gebunden und mit ISBN- Nummer – viel zu ändern. Gib Chris Deschner das letzte Wort: „It's the honky-tonkin' singer price I pay“ singt er und da ist leider etwas dran – zumindest genug, um den Blues zu kriegen. Gunnar Lützow

Eb Davis: Fool For The Ladies (Wonderland/RTD)

Chris Deschner: Cherokee Moon (Star Cluster/Ornament)

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