: Vierzig Jahre nach Staatsgründung nun auch DDR-weiter Mieterbund in Ost-Berlin gegründet
„Wir sind mitten in der Nacht um Baumaterial angestanden, und jetzt kommen die Westler und setzen sich ins gemachte Nest“, sagt der schon etwas ältere Mann, seine Stimme zittert vor Angst und Wut. Er erhält tobenden Beifall von der Gründungsversammlung des Mieterbundes der DDR. Mittwoch abend drängeln sich Hunderte von Menschen im überfüllten Saal des „Hauses der Demokratie“ in Ost-Berlin. Gestandene Bürger, Hausfrauen, Rentner, Kleingärtner und wenige Studenten, alle in Angst um ihr Eigentum, sei es gemietet, sei eigen.
Daß der real existierende Kapitalismus auch Probleme verursacht, dämmert nun langsam den Mietern, aber auch den Hausbesitzern der DDR. Denn viele Besitzer kleiner Häuschen haben nur sogenannte Überlassungsverträge. Und ob die nach der Wiedervereinigung Bestand haben, bezweifeln Juristen wie Bewohner. Daß es Widersprüche zwischen Mietern und Häuslebauern gibt, ist noch nicht ins Bewußtsein der DDR -Bevölkerung eingedrungen. So war man sich zunächst uneinig, ob man einen Schutzbund von Mietern gegen Hausbesitzer oder nicht lieber doch einen von Ostlern gegen Westlern gründen solle. „Die DDR-Hauseigentümer haben doch auch Angst, hier geht es darum, unser Eigentum gegen die Westler zu schützen“, sagt ein Frau. „Wenn sich die Rechtslage ändert, kann uns der DDR-Besitzer künftig auch rausschmeißen, deshalb brauchen wir einen Mieterbund“, meint eine andere. Der Direktor des westdeutschen Mieterbundes, Helmut Schlich, der zur Unterstützung des Bruderverbandes angereist war, findet schließlich die Kompromißformel: Der Mieterbund schützt nunmehr Mieter und selbstnutzende Pächter. Den übrigen empfiehlt Arne Fellin, Versammlungleiter und Sprecher der Ostberliner Bürgerinitiativen, die Gründung eines Hausbesitzerverbandes.
Einstimmig angenommen wird auch der Rest der „Plattform“, die von Fellin formulierte Geschäftsgrundlage. Der Mieterbund wird nunmehr landesweit und parteipolitisch unabhängig sein, sich für soziales Mietrecht, Recht auf Wohnraum für jeden Bürger und für eine auf kommunalem Eigentum basierende Bodenpolitik einsetzen. Endgültig konstituieren wird er sich nach Einschätzung von Fellin erst Ende April.
Zu verteidigen haben die Mieter der DDR viel: Es gibt einen absoluten Kündigungsschutz; auch wer die - mit circa einer Mark pro Quadratmeter ohnehin preiswerte - Miete nicht zahlt, darf nicht auf die Straße gesetzt werden. „Nicht zahlen kann doch nur eine ganz kleine Gruppe von Sozialfällen“, erläutert Fellin auf erstaunte Nachfrage. Daß die Mieten steigen werden, ist auf der Versammlung nur am Rande ein Thema. Fellin freilich ist es klar. „Das Drei- bis Vierfache der jetzigen Mieten würde die Betriebs- und Instandhaltungskosten decken“, meint er. Aufgelaufene Reparaturen und notwendige Modernisierungen solle der Staat zahlen. „Gleichzeitig muß man entweder die Löhne, Renten und Stipendien anheben oder Wohngeld einführen“, stellt sich Fellin den Übergang in den Kapitalismus vor. Dreh- und Angelpunkt sei, so Fellin, das Bodenrecht. „Grundbesitz ist die Hauptspekulationsquelle, deshalb muß der staatliche Grund und Boden staatlich bleiben“, sagt Fellin. Oder aber die Häuser müßten in genossenschaftliches Eigentum der Mieter überführt werden.
Vermutlich ist das angesichts dessen, was der DDR blüht, noch viel zu optimistisch. Denn ein Großteil des DDR-Grundes ist nicht staatlich, sondern in privater, teils westlicher Hand. „Sie erwarten von der Marktwirtschaft Wunderdinge“, hat Schlicht seine Rede begonnen, wird aber sofort von „Nein!„-Rufen unterbrochen. Er erhält erst wieder Beifall, als er von „Kündigungswillkür und Spekulation in der BRD“ warnt. Es sei „fünf nach zwölf“, denn die Entwertung der Ostmark drohe, ist sich die Versammlung einig. „Der Staat muß dafür sorgen, daß wir noch vor der Wahl unsere Häuschen und Wohnungen kaufen können“, fordert ein Mann. Brunhildt Becker, die „erste Betroffene“, bei der der westliche Hausbesitzer auf der Matte stand, fordert „staatlichen Schutz vor Spekulation“. „Unsere Verfassung soll weiter gelten“, heißt es sogar.
Schützenhilfe bekommen die Ostberliner von Experten. „Im hochentwickelten Kapitalismus ist es gang und gebe, Wohnen zu subventionieren und soziale Härten abzufedern: So werden in West-Berlin Sozialmieten von 30 Mark auf acht Mark pro Quadratmeter hinuntersubventioniert. Da müssen wir uns von denen nichts erzählen lassen über den Abbau von Subventionen“, sagt ein Ostberliner Dozent.
Ob die künftige DDR-Regierung, wer auch immer sie stellt, den Mietern Schutz bieten kann, darf man bezweifeln. Die Parteien haben sich rar gemacht auf der Versammlung. „Wenn ich mir die Herren Schnur und de Maiziere von den Ostkonservativen ansehe, die haben von unseren Problemen nichts begriffen“, sagt ein Mann. Aber auch ein Sozialdemokrat, der Fellins Plattform unterstützt, wird ausgepfiffen. „Wie stellt ihr euch das konkret vor? Ihr wollt doch regieren, ihr müßt doch ein Konzept haben“, heißt es.
Eva Schweitzer
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