■ Vierzig Jahre Erstbesteigung des Mount Everest: „Die dümmste Gattung Mensch“
Katmandu/Nepal (taz) – Vor genau vierzig Jahren, am 29. Mai 1953, wurde der Mount Everest erstmalig bestiegen. Ein Ereignis – nach buddhistischer Zeitrechnung fand es zu Beginn des Monsoon- Regens im Jahre 2010 statt – das in Nepal auf ebensowenig Beachtung traf, wie es die westliche Welt in Begeisterungsstürme versetzte: Das gewaltigste Bergmassiv der Erde war bezwungen. Der Name Edmund Hillary, ob dieser Großtat in den Adelsstand erhoben, zog bis heute ganze Heerscharen Gleichgesinnter an den Fuß des Everest, um im Kampf gegen diesen „zu sich selbst zu finden“. Solch pathologisches Credo trieb auch Reinhold Messner nach Nepal, um den Berg alleine und ohne Hilfsmittel „in die Knie zu zwingen“.
Heute drängen alljährlich Dutzende von Expeditionen auf den Gipfel des Mount Everest; zum 40jährigen Jubiläum der Erstbesteigung sind gegenwärtig mit großem Medien-Tamtam gar sieben Gruppen gleichzeitig unterwegs, gesponsert von Unternehmen aus aller Herren Länder, die ihre Produkte vom „Dach der Welt“ herab vermarkten wollen.
Die Knochenarbeit wird dabei von einheimischen Trägern verrichtet, die die oft tonnenschwere Ausrüstung der jeweiligen Expedition bis ans Basislager auf fünfeinhalbtausend Meter, und danach auch weiter hinauf, schleppen. Für einen Hungerlohn von 100 Rupees (ca. 3,- DM) pro Tag buckeln sie in endloser Karawane ihre Zentnerlasten auf den Berg – Zelte, Seile, Haken, Sauerstoffflaschen und jede Menge Bierkästen. Sherpa, der Name des einst stolzen Bergvolkes ist inzwischen zum Synonym für Lastenkuli verkommen. Niemand kennt die Namen der zahllosen Sherpa, die die vielbejubelten „Gipfelsiege“ der Unsölds, Horbeins, Miuras oder Schmatzs erst ermöglicht haben. Kaum, daß jemand noch den Namen von Tenzing Norgay Sherpa kennt, der seinerzeit zusammen mit Hillary aufgestiegen war. Der Everest-Tourismus hat den Sherpa ihre Identität geraubt, ebenso wie dem Berg selbst seinen ursprünglichen Sanskrit-Namen „Sagarmatha“ („Der, dessen Stirn den Himmel berührt“) wegkolonisiert wurde: Die Briten benannten das sagenumwobene Massiv im Himalaya nach einem englischen Landvermesser namens George Everest um.
Weit fataler noch als die „Expeditionen“, die in zwanghafter Manie den Berg „unterkriegen“ müssen, sind freilich die Massen von Möchtegern-Alpinisten, die sich – Zigtausende pro Saison – von Katmandu aus mit Kleinflugzeugen ins Everest-Gebiet karren lassen. Edmund Hillary selbst ließ in Lukhla einen Flugplatz anlegen, von dem aus in zwei Tagesmärschen Namche Bazaar (3440m) erreicht werden kann, das Zentrum der Region und Ausgangspunkt sowohl von Trekking-Touren, wie auch des Aufstiegs zum Basislager des Everest (5460 m).
Berge von Müll säumen die breitgetretenen Pfade: Cola-Dosen, Wasserflaschen, Plastiktüten – Touristenscheiße hinter jedem Felsen. Unmengen weggeworfener Sauerstoffflaschen auf dem Weg zum Gipfel. Die Hüttenwirte in Namche Bazaar und in den Dörfern der Gegend bieten dem Gast grotesken Komfort: Wiener Schnitzel mit Pommes in fast 5.000 Meter Höhe ist ebenso selbstverständlich wie die heiße Dusche am Abend. Um das Wasser erhitzen zu können, schleppen Sherpa-Kinder tagtäglich riesige Bündel von Feuerholz heran – von immer weiter her. Große Flächen der Everest-Region sind schon völlig kahlgeschlagen und verkarstet, die Bodenerosion im gesamten Himalaya hat inzwischen katastrophale Ausmaße angenommen.
Umweltschutz, jahrzehntelang ein Fremdwort in Nepal, beginnt zögerlich zu greifen: Beschränkungen der Tourismusströme zum „Dach der Welt“ werden erwogen. Ausgerechnet Reinhold Messner macht sich für derlei Restriktion stark, gleichwohl er es war, der den Himalaya-Boom erst richtig angekurbelt hat. Bergsteiger so sagt er, seien die „dümmste Gattung Mensch“. Selbsterkenntnis auf dem Gipfel eines Achttausenders? Mitnichten. Gemeint sind natürlich die anderen. Colin Goldner
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