Vier Studierende übers digitale Semester: Die Meinungen gehen auseinander

Corona hat auch das Studieren stark verändert. Die einen fanden das toll – die anderen miserabel: Vier Protokolle zum Ende des digitalen Semesters.

Kunstudentin Leila Raabe im Poträt: sie sitzt rauchend an einem Tisch, hinter ihr hängen viele Bilder

„Der Lockdown selbst war für mich ein Segen“, sagt Leila Raabe, sie studiert an der UdK Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

„Eine meiner besten Zeiten“ – Protokoll Eins: Leila Raabe, studiert seit 2013 an der UdK. Zuerst Malerei, vor einem Jahr ist sie in die Bildhauerei gewechselt.

Diese Woche werde ich meine Abschlussarbeit präsentieren. Ich bereite mich seit einem Jahr auf die Prüfung vor, habe mir einen Plan gemacht und akribisch alles vorbereitet. Corona hat dann vieles durcheinander gebracht, vor allem weil die Werkstätten während des Lockdowns geschlossen wurden.

Es soll wohl eine E-Mail gegeben haben, aber die habe ich nicht bekommen. Ich hab das nur erfahren, weil ich zufällig an der UdK war. Ich hatte Glück und habe dann ein zwei Tage vor der Schließung einen großen Teil meiner Arbeiten raus geholt. Ich habe das auf Instagram gepostet, aber viele haben es gar nicht mitbekommen. Jetzt nutze ich das Atelier von meinem Partner im Wedding, auch da habe ich Glück.

Alles war geschlossen, keiner wusste: Können die Prüfungen durchgeführt werden oder nicht? Und wenn ja wie, in welchem Rahmen? Der jährliche Rundgang, bei dem auch die Absolvent*innen ihre Arbeiten präsentieren, wird in dieser Form ausfallen, das war das erste an Informationen, die wir bekommen haben.

Der Rundgang ist die Möglichkeit für die Absolventen, ihre Werke zu präsentieren, das ist so ein bisschen ein Magic Moment, weil man da auch auf Galeristen stößt und Leute aus der Kunstwelt. Das ist etwas sehr Wichtiges gewesen – und dass der physische Rundgang jetzt ausfällt, ist für viele schon eine mittelgroße Katastrophe.

Vor der Pandemie hatte ich eine relativ große Ausstellung mit der Universität Dresden organisiert. Die Flyer waren schon im Druck, die Gelder waren bewilligt. Das fiel dann natürlich aus. Ich hatte außerdem noch eine Zusage für eine Studienreise nach Los Angeles. Den Flug hatte ich mit meinem letzten Geld gebucht, weil ich dachte, die Stiftung würde mir das Geld zurückzahlen. Der Flug wurde wenige Tage später gecancelt, auf das Geld warte ich aber immer noch. Von der UdK habe ich wenigstens 350 Euro Nothilfe bekommen.

Vorlesungen und Seminare hatte ich alles schon durch – was aber natürlich gefehlt hat, waren die Gespräche mit den Professoren und der Werkstattleitung. Zum Glück gab es da ganz liebe Seelen, mit denen man dann per Telefon über die Arbeiten gesprochen hat.

Der größte Support war im inneren Kreis – durch meinen Partner. Wir hatten beide das Gefühl, der Lockdown kommt jetzt. Da haben wir unser Geld zusammengewürfelt und uns mit Kunstmaterialien eingedeckt. Dann hatten wir erst mal genug Material für zwei Monate.

Der Lockdown selbst war für mich ein Segen. Für mich persönlich war das eine meiner besten Zeiten. Ich hab keine Onlineseminare gehabt, ich hab da nicht gelitten wie andere. Ich konnte mich wirklich auf meine Prozesse konzentrieren, meine Arbeit machen. Ich konnte experimentieren, viel machen und für meine Abschlussarbeit lesen. Für mich war das eine extrem fruchtbare Zeit. Also vom künstlerischen Fluss aus gesehen, hätte es für mich nicht besser laufen können. Protokoll: Jonas Wahmkow

Kunststudent Ali Yass steht in seinem Atelier und guckt in die Kamera

Nach drei Monaten Zwangspause endlich wieder in seinem Atelier: Ali Yass, Kunststudent an der UdK Foto: Sebastian Wells/Ostkreuz

„Ich habe kein einziges Gemälde gemalt“ – Protokoll Zwei: Ali Yass, 27, studiert im zweiten Semester Bildende Kunst an der Universität der Künste. Vorher hat er schon in Jordanien Kunst studiert.

Täglich neun Stunden im Atelier zu stehen, das war vor Corona normal für mich. Manchmal bin ich sogar über Nacht geblieben und habe ohne Pause an meinen Werken gearbeitet. Als im März dann die E-Mail kam, dass alle Räume der Universität der Künste geschossen werden müssen, war das ein krasser Einschnitt. Ich musste all meine Zeichenpapiere, Bleistifte und die Kalligraphie-Tinte aus dem Atelier räumen und mit nach Hause nehmen.


Das war aber gar nicht so leicht: Mein Zimmer ist nur sechs Quadratmeter groß. Während der Wochen zu Hause habe ich darum kein einziges Gemälde gemalt. Onlineseminare hatte ich in meinem Studium der Bildenden Künste nur ein einziges, die übrige Zeit hätte ich schließlich in den Werkstätten verbringen sollen. Zum Glück wohne ich mit 55 Personen in einem Hausprojekt, einsam war ich also nie. 



Im Lockdown hatte ich endlich Zeit, Bücher zu lesen und über die Welt nachzudenken. Mit dem Ausbruch der Pandemie konnte ich beispielsweise beobachten, wie die Situation im Irak, in Hongkong oder Chile genutzt wurde, um die Unterdrückung weiter auszubauen oder von der fehlenden sozialen Gerechtigkeit abzulenken.

Eine wichtige Erkenntnis im Lockdown: Wir müssen unsere Beziehung zum Internet neu definieren. Dass sich viel im Netz abgespielt hat, war nicht nur schlecht. So hat sich im Falle der Black-Lives-Matter-Proteste eine transnationale Solidarität entwickelt. Auch ich habe mich mit der Welt und ihren gesellschaftlichen Kämpfen verbundener gefühlt als sonst. Das liegt sicherlich auch an gemeinsamen Erfahrungen, die wir gemacht haben: die eingeschränkte Reisefreiheit oder finanzielle Unsicherheiten – und vor allem, dass das Virus tötet. Wie auch Grenzen oder Rassismus.



Nach knapp drei Monaten wurden endlich unsere Ateliers wieder geöffnet, allerdings mit zeitlicher Begrenzung. Ich habe mich sehr darüber gefreut, ich konnte endlich wieder malen. Das Thema Widerstand, das ich schon vor Corona in meinen Zeichnungen, Ölgemälden und Experimentalfilmen verarbeitet habe, ist durch die Eindrücke im Lockdown noch viel klarer in meinen Fokus gerückt. 



Diese Woche hatten wir dann unsere Jahresausstellung, das ist eigentlich ein großes Event, zu dem die ganze Stadt vorbeikommt. Dieses Jahr war das anders: Wir sind der erste Jahrgang, in dem der Rundgang nur virtuell stattfindet. Meinen Atelierraum 136 können Gäste der Ausstellung nur über die UdK-Website betreten.

Zwar kann man sich meine Arbeiten immerhin digital anschauen, einen realen Besuch kann das aber natürlich nicht ersetzen. Besonders bei der Malerei geht es schließlich auch immer um die Erfahrung zwischen dem Betrachter und dem Werk. Das ins Digitale umzusetzen, ist super schwierig. Bei allen Vorteilen, die das Internet hat, da fehlt einfach die menschliche Verbindung. Protokoll: Jannis Hartmann

„Endlich konnte ich meinen Rhythmus wählen“ – Protokoll Drei: Levke Burfeind, 27, studiert Jura an der HU. Fürs nächste Semester hat sie sich einen neuen Bildschirm gekauft.

Würde ich vor die Wahl gestellt – Digital- oder Präsenzsemester – ich würde mich wohl für die digitale Variante entscheiden. Das Sommersemester meines Jurastudiums war eines der sogenannten Schwerpunktsemester. Meine Kurse zum Thema „Vertrag und Wettbewerb“ konnte ich trotz des Digitalsemesters alle wählen. Generell hatten wir in unserem Studienfach Glück, unser Kursangebot war kaum eingeschränkt.

Manche Veranstaltungen wurden einfach ins Digitale übertragen. Das fand ich völlig in Ordnung. Besonders gut haben mir aber die Kurse gefallen, in denen neue Formate ausprobiert wurden. Beispielsweise wurde die Vorlesung zum Kaufrecht asynchron angeboten. Die Dozentin hat ihre Sitzungen im Vorfeld aufgezeichnet und hochgeladen. Fragen konnten wir per Mail stellen. Zuerst war ich skeptisch, ob es dröge würde, alleine im WG-Zimmer zu sitzen und dem Computer zuzuhören. Genau das, fand ich aber schnell total super: Endlich konnte ich Pausen machen, wenn ich etwas nachgucken wollte oder auf Toilette musste. Diese Unterbrechungen haben mir in den Präsenzveranstaltungen gefehlt.

Eine andere Professorin hat ihre Videovorlesung zur Fusionskon­trolle vor der Veranstaltung hochgeladen, sodass wir in den Zoom-Seminaren vertiefend über die Inhalte diskutieren konnten. Das hat sehr gut funktioniert, denn wir hatten den Stoff ja bereits gehört. Dass meine Dozentinnen den Mut hatten, diese Formate auszuprobieren, hat mich sehr gefreut.

Studentin Levke Burfeind im Porträt, sie lächelt

Levke Burfeind Foto: Privat

Im Jurastudium hat man oft das Gefühl, nicht hinterher zu kommen. Das hatte ich in diesem Semester nicht. Ich war deutlich besser vorbereitet. Ich glaube, das liegt auch daran, dass ich meinen eigenen Rhythmus wählen konnte. Beispielsweise kann ich morgens gut vor dem Frühstück arbeiten. Das funktioniert natürlich nicht so gut, wenn man dafür aus dem Haus in die Uni muss. Zu Hause konnte ich alles in meiner Reihenfolge machen. Dazu kommt: Ich habe täglich eineinhalb Stunden Fahrzeit zur Uni gespart. Die Zeit konnte ich dann in Kochen oder Sport investieren. Ich fühlte mich viel dynamischer und selbstbestimmter.

Auch mit meinem Job in einem Think Tank ließ sich das Digitalsemester gut vereinbaren. In den Präsenzsemestern ist die Abstimmung zwischen Studium und Lohnarbeit immer ein größerer Balanceakt.

An manches musste ich mich in den Zoom-Kursen natürlich trotzdem gewöhnen. Wenn ich früher eine kurze Frage während der Vorlesung hatte, konnte ich einfach meine:n Tischnachbar:in fragen. Dafür musste ich aber erst einmal einen digitalen Ersatz finden. Letztendlich habe ich die Chat-Funktion von Zoom genutzt, den Schritt musste ich aber erst einmal wagen.

Dass das Digitalsemester für Studierende und Lehrende gleichermaßen herausfordernd war, hatte etwas Verbindendes: Plötzlich haben sich Dozierende auch etwas von Studierenden erklären lassen, etwa wie sie ihren Bildschirm freigeben können. Das war eine schöne Ebene.

Zu meiner mündlichen Prüfung empfing mich meine Professorin mit den Worten: Schön, dass wir uns mal live sehen. Die Verbindung wäre ohne das Digitalsemester vielleicht weniger stark gewesen. Protokoll: Jannis Hartmann

„Meine Lust fürs Studium ist rapide abgefallen“ – Protokoll Vier: Veronika Schweighoferová, 27, drittes Semester im Masterstudiengang „Leitung – Bildung – ­Diversität“ an der Evange­lischen Hochschule in Zehlendorf.

Im Gegensatz zu den größeren Unis gab es an unserer Hochschule lange keine Rückmeldung darüber, wie das jetzige Sommersemester ablaufen wird. Meine Kommiliton*innen und ich waren da lange verunsichert, wie das jetzt weitergeht. Ich habe Dozierenden anderer Unis geschrieben, ob ich an Seminaren teilnehmen kann. Das hat dann geklappt, an der FU durfte ich noch in ein zusätzliches Seminar mit rein.

Studentin Veronika Schweighoferová im Selbstporträt, sie guckt verträumt

Veronika Schweighoferová Foto: Privat

An meiner Hochschule selbst hatte ich nur eine Blockveranstaltung. Sonstige Veranstaltungen sind überwiegend einfach ausgefallen. Oder man wusste nicht, wie das ist bisweilen, man hat sich einzeln bei den Dozierenden erkundigt und im besten Fall haben die geantwortet. Ich fand es deshalb sehr schwierig, das Semester zu planen. Ich habe dieses Semester zwei synchrone Seminare gemacht ich bin auch für zwei asynchrone angemeldet, aber das war nicht realistisch.

Ich kenne niemanden, der dieses Semester mit asynchronen Seminaren klar kam, oder das auch durchgezogen hat. Ich muss schon sagen, dass meine Lust fürs Studium rapide abgefallen ist. Nicht alle Dozierenden sind auch begabt darin, Lehrmaterialien zu gestalten und Präsentationsfolien gut zu füllen.

Das Studium heißt zu einem großen Teil auch Selbstverantwortung, das finde ich auch gut. Aber ich finde es krass, wenn diese Selbstverantwortung zu einem großen Teil in den privaten Bereich ausgelagert wird. Dass wir alle darauf angewiesen sind, dass wir auch eine stabile Internetverbindung und einen guten Rechner haben, und einen Arbeitsplatz. Wenn man einmal aus dem Internet fliegt, und die ganze WLAN-Box und den Computer neu starten muss, dann verpasst man einiges.

Das jetzt plötzlich alles zu Hause passiert, finde ich nicht in Ordnung. Ich nutze mein Zuhause als ein Ort zum Ankommen, Runterkommen und für mich da sein. Plötzlich wurde mein Schreibtisch zum Büro, zum Studienort, zur Bibliothek.

Ich übernehme gemeinsam mit ein paar anderen Leuten Verantwortung für ein Kind. Da die Kita dichtgemacht wurde, war es eine zusätzliche Herausforderung, die Betreuung so zu organisieren, dass es für alle Personen in der Bezugsgruppe machbar ist. Ich hab versucht zu tun, was ich kann, aber mit Homeoffice und Lohnarbeit ist es natürlich auch nicht einfach gewesen. Ich versuche, das so einen Tag die Woche zu machen, obwohl eigentlich zwei Tage notwendig wären – die Zeit habe ich aber nicht.

Meine Hochschule hat jetzt angekündigt, 70 Prozent der Veranstaltung ins Onlineformat auszulagern. Das macht mich natürlich ein wenig skeptisch, weil ich keine Lust habe auf noch ein Semester dieses improvisierten Selbststudiums. Ich überlege gerade, ein Praktikum zu machen und mir das anrechnen zu lassen. Regelmäßige Arbeitsstruktur würde mir besser tun als diese unvorhersehbare Onlineorganisation. Protokoll: Jonas Wahmkow

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