: Vier Monde am Bistrotisch
Ortsbesichtigung: Der Franz-Club in der Schönhauser Allee an einem Freitagabend um halb zehn, kurz vor der Vergabe des alten Schultheiss-Gebäudes durch die Treuhand. Aufgesucht ■ von Claudia Wahjudi
Unter dem sandfarbenen Sonnenschirm sitzt ein junger Skandinavier vor einem kleinen Bier. Hurtig trinkt er einen tiefen Schluck. Ihm schmeckt's, und ihm gefällt's zwischen hydrokultiviertem Ficus Benjaminus und hölzernen Fensterbögen. Während er auf die Rückkehr seiner Freundin wartet, wandern seine Augen an den braungrün melierten Wänden lang. Just, als sie den Blick vom Nebentisch kreuzen, kitzelt ihn die Kohlensäure in der Nase, er schluckt und schluckt und findet schließlich Zuflucht in einem derben Rülpser. Jetzt wird er rot. Wie peinlich ist ihm das! Doch dann schickt er schlicht ein nettes Lächeln zum Nachbartisch. Situation gerettet.
So gepflegt könnte es auch in Brighton oder Binz zugehen: Am Sonnenschirm baumeln Zeitungen leise im Windzug der Vorüberhuschenden, hier ein Bierchen, dort ein Kaffee, die emsige Tresenkraft ruft den Nudelteller aus, und im Hintergrund murmeln Billardkugeln in ihre Löcher. Über dem Kunststoffteppich klingen alle Geräusche nur gedämpft.
Doch Schauplatz der sachten Geschäftigkeit ist der Franz-Club in der Schönhauser Allee, am Freitagabend um halb zehn, als die beiden großen Säle sich langsam fürs Elf-Uhr-Konzert füllen. Neun Mark kostet die Besucher der Auftritt des Berliner Common Sense Orchestra, und die Freundin, die ihre Gesellschaft für diesen Abend zugesagt hat, zückt deshalb das Portemonnaie generös gleich ein zweites Mal. Am dunklen Tresen bestellt sie einen Wein für dreifuffzig, inclusive Korkgekrümel. Erschöpft plumpst sie dann aufs Stühlchen am Bistrotisch und erzählt sofort leise los, ohne Punkt und Komma, denn aus den großen Boxen brummelt nur sanftes Folk- Gesumms.
Schließlich stapft die Freundin aufs Klo. Unten, vor den Kabinen mit den blitzenden Konsolen, sitzt in weißem Overall der müde Pächter und wacht vor einem Strauß Plastikblumen darüber, daß drei Groschen Toilettengeld auf seiner Untertasse klingeln. Freundlich wünscht er darum einen „Guten Abend“ und entläßt mit einem „Auf Wiedersehen“.
Dennoch besteht die Gefahr, daß die Freundin sich auf ihrem Gang verirrt. Der Franz-Club mit seiner großen Spiegelwand ist ein Labyrinth. Fünf Festangestellte und einige studentische Aushilfen bewirtschaften rund 700 Quadratmeter. Dazu gehören ein Konzertsaal mit Tresen und zimmergroßer Bühne, Licht- und Videoanlage, das Café mit dem zweiten Tresen, ein Billardraum und sommers auch ein Gartencafé. Verborgen bleiben dem Blick die Büros und natürlich die Garderoben und Duschen für die Künstler.
Vor allem Musiker kommen auf die Bühne des Franz-Clubs. Doch wenn montags die Bühne unbekannten Bands oder der Kleinkunst vorbehalten ist, finden sich auch Pantomimen ein, jeden Nachmittag zudem die Schauspieler von Kindertheatern. Als „Probebühne“ will Geschäftsführer Silvio Marciniak den Franz-Club allerdings nicht verstanden wissen. Seit sieben Jahren stellt er mit seinem Kollegen Frank Herzog ein Konzertprogramm zusammen mit Namen wie Luther Allison und Kevin Coyne, aber auch mit Messer Banzani und den Inchtabokatables. Mit seinen eintrittsfreien Jazz- und Rocksessions, die jeden Dienstag und Mittwoch stattfinden, knüpft der Franz-Club schließlich an seine knapp 20jährige Geschichte an – Jazz, Rock und Blues spielten im Prenzlauer Berg lange Zeit eine große Rolle. Mitten im Szeneviertel, so erinnert sich Marciniak, dienten die Konzerte als „Ablaßventil“. Die Behörden erlaubten zuletzt auch Auftritte von Liedermachern oder von Krakeelern wie Feeling B.
Solch ein Programm sorgte für volle Kassen. Noch vor Mauerfall kam Betreibern darum die Idee, die Unabhängigkeit zu beantragen und die Subventionen an benachbarte Clubs abzugeben. Daraus wurde zwar nichts mehr, doch nach der deutschen Vereinigung erwies sich die Übung im marktstrategischen Denken von ungeheurem Vorteil. Der Franz-Club firmiert jetzt erfolgreich als GmbH. Obwohl er seit 1989 tatsächlich kein Kulturgeld mehr erhält, bräuchte er um seine Existenz kaum zu bangen, wenn er nicht die Entscheidung der Treuhand über die Vergabe des alten Schultheiss-Hauses abwarten müßte. Bislang nämlich liegt der Club mit dem minimalen Quadratmeterpreis, den er an die benachbarte Kulturbrauerei e.V. überweist, enorm günstig im Rennen – die anderen Mieter des Hauses, Musikszene e.V., Sonnenuhr e.V. und die Stiftung Industrie und Alltagskultur zahlen das Doppelte. Für den Fall jedoch, daß die französische Mineralwasserfirma, die sich für die hundertjährige Produktionsanlage beworben hat, unannehmbare Bedingungen stellt, will die Kulturbrauerei dem Franz- Club Ausweichräume im hinteren Teil des denkmalgeschützten Klinkerbaus anbieten.
So repräsentativ wie vorn am Eck würde es dort nicht werden. Noch führt die Tür des Franz- Clubs direkt auf die Schönhauser Allee, und fast 140.000 Besucher finden jedes Jahr den Weg durch den Eingang im dreißig Meter hohen Turm. Auch das Common Sense Orchestra, das vor zwei Wochen seine Record Release Party mit neuen „Rocksongs“ feierte, hat hier ein Publikum gefunden.
Als die Freundin endlich vom Klo wiederkehrt, zeigt der Monitor unter der Decke des Cafés schon einen gut gefüllten Konzertsaal. Männlein und Weiblein winden sich um den Pfeiler, der mitten im Raum strotzt, oder hocken auf der schmalen Treppe. Von dort schauen sie die Leinwand, auf die eine Videokamera das Bühnengeschehen überträgt. Schön sieht Sänger Frumpy Pöhl darauf aus, viel schöner als in Wirklichkeit. Bei seiner Kollegin verhält es sich genau umgekehrt Als sie aus dem Hintergrund nach vorn tritt, entlarvt die Großaufnahme ihre ganze Unsicherheit. Das Publikum begeistert sich dennoch. Eine pummelige Lockige kann gar nicht genug bekommen. Hektisch saugt sie an ihrer Zigarette, hüpft von einem Turnschuh auf den anderen und stößt ihrem trägen Begleiter immer wieder in die Rippen, als ob sie ihm zeigen wollte, wie prächtig sie sich amüsiert. An den Tischen schütten sich zwei Betrunkene vor Lebensfreude aus und ihre Orangenmixes über die umstehenden Stühle. Das klebt ein Lederjackenleben lang.
Ungerührt von solchem Trubel sitzt der Schwede noch immer unter seinem Sonnenschirm. Dem Auftritt der Gruppe widmet er nur einen kurzen Blick Richtung Monitor, und auch der DJ, der wie stets nach einem Gig auflegt, wird ihn kaum interessieren. Zu behaglich ist's hier doch. Vier Monde, vier runde Kullerlampen auf Säulen, werfen zartgelbes Licht auf die Musikerfotos, die auf der bunten Wand zu verschwinden drohen. Draußen aber scheint der echte Mond und erinnert daran, daß es bis zur U-Bahn genau einen Kältegrad zu weit ist.
Der Franz-Club, Schönhauser Allee 36-38, Prenzlauer Berg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen