: Vieles heimlich machen
■ Merzak Allouache über seinen Film „Bab el-Qued City“
Der Algerier Merzak Allouache erhielt für seinen Film „Bab el- Qued City“ den Hauptpreis der zweiten Biennale des arabischen Films in Paris. Bereits in Cannes wurde der Film mit zwei Preisen prämiert. Der Spielfilm wird bei uns zumindest auf arte zu sehen sein. Boualem arbeitet nachts bei einem Bäcker und schläft tagsüber. Er kann aber nicht schlafen, weil der Islam ständig über einen Lautsprecher dröhnt. Ohne lange zu überlegen, reißt er den Lautsprecher ab und wirft ihn ins Meer. Diese Geste versetzt das ganze Viertel in Aufruhr.
taz: Man hat den Eindruck, Sie sind während der Dreharbeiten von den politischen Ereignissen kalt erwischt worden ...
Merzak Allouache: Ich habe mein Drehbuch zwischen 1989 und 1991 geschrieben, als die Islamische Partei entstand. Als ich mit den Dreharbeiten begann, gab es diese ungeheuren Gewaltausbrüche, die ich mir nie hätte vorstellen können. Ich habe die Geschichte ein wenig verändert. Das Mädchen schreibt ihre Erinnerungen im Jahre 1993, und der Film ist eine Rückblende auf die Zeit, als alles anfing.
Gab es Probleme während der Dreharbeiten?
Nein, ich war sehr vorsichtig. Die Hälfte meiner Crew waren Franzosen. Damals wurden die Ausländer noch nicht bedroht. Heute kann kein ausländischer Kameramann mehr in Algerien arbeiten.
Ihr Film ist eine Koproduktion mit Frankreich und dem deutschen Fernsehen; hätten Sie den Film ohne ausländische Unterstützung in Algerien produzieren können?
Bis vor kurzem konnten wir hier unsere eigenen Filme produzieren, weil der Staat sie komplett finanziert hat. Heute bekommen die maghrebinischen Länder – Marokko, Tunesien und Algerien – nach Lesung der Drehbücher einen Teil vom Staat finanziert. Danach wird es einem selbst überlassen, das restliche Geld aufzutreiben. Nur die Ägypter haben eine Filmindustrie, die eigenständig funktioniert. Deshalb machen sie Filme, die einen großen kommerziellen Erfolg haben, die Geld einbringen. Im restlichen Maghreb werden nicht mehr als 15 Filme pro Jahr gedreht.
Wie steht es mit dem Equipment?
Es gibt Filmlabore, aber sie sind kürzlich geschlossen worden. Es gibt Material, aber nicht alles, was man braucht; es gibt Techniker, aber nicht alle sind im Land. Um in Algerien einen Film zu machen, fehlt es an allen Ecken und Enden.
Und der Zensor schläft nicht ...
In Algerien gab es innerhalb des Kulturministeriums eine Kommission von Drehbuchlesern. Der Präsident, ein Schriftsteller, ist nach Marokko ausgewandert. Ich weiß nicht, was geschehen wird. Gerade die Intellektuellen und die Künstler werden zunehmend bedroht. So etwas hat es nie gegeben. Die Theaterleute verschwinden. Andere gehen nach Marokko, Frankreich, nach Deutschland ...
Werden Sie in Algerien bleiben?
Ich bin kein Märtyrer. Momentan lebe ich dort, ich komme und gehe und versuche, mich nicht so sehr zu verwurzeln. Ein Schriftsteller kann ohne weiteres weggehen, aber für einen Filmemacher ist das schwieriger. Wenn wir keine Bilder mehr von unserem Land machen können, ist das schlimm. Damit geht ein ganzes Genre kaputt, eben unsere Art von Heimatfilm.
Welche Rolle spielt der Lautsprecher in Ihrem Film?
Der Lautsprecher ist ein Instrument der Machtausübung; er war zentral im Krieg der Nazis. Andererseits dient der Lautsprecher als Aufruf zum Gebet. 1988 ist die Lautstärke erhöht worden, und die Reden sind zunehmend länger und unverständlicher geworden. So ein bedrohliches, permanentes Kauderwelsch dröhnt auf einen ein.
In Ihrem Film geschehen viele Dinge gleichzeitig, alle möglichen Handlungen laufen parallel.
Unsere Gesellschaft hat viele Tabus, und deswegen existiert immer etwas im Untergrund. Ich zeige, wie sich die Leute untereinander organisieren, wie sie sich treffen, wie sie nur durch Blicke miteinander Kontakt aufnehmen. Gerade durch den zunehmenden Einfluß der fundamentalistischen Bewegung werden wir immer mehr gezwungen sein, vieles heimlich und versteckt zu machen. Wir werden sehen, wie sich alles weiterentwickeln wird. Interview: Julia Reschop
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