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Viele gute Absichten, viele offene Fragen

■ Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und FDP in Hamburg unterzeichnet / Privatisierung auch im sozialen Bereich / Viele Willensbekundungen, aber wenig konkrete Details / Deutliche Liberalisierung in der Ausländerpolitik / Entschädigung für NS–Opfer

Aus Hamburg Axel Kintzinger

Ob die 47seitige Koalitionsvereinbarung, die von SPD und FDP am Donnerstag feierlich unterzeichet wurde, wirklich „im Inter esse Hamburgs und seiner Menschen“ liegt, wie in der Präambel ausgeführt, darüber streiten sich die Gemüter, vor allem aber die Oppositionsparteien in der Hansestadt. Freude wenigstens bei den Ausländern: Sie erhalten als erste ein wenn auch begrenztes Wahlrecht. Es gilt lediglich für die Bezirksversammlungen und nur für die Personen, die mindestens acht Jahre legal und ununterbrochen in der BRD gelebt haben. Aufatmen auch bei vielen Flüchtlingen: Die FDP konnte sich mit der Forderung durchsetzen, keine Asylbewerber mehr in Krisengebiete abzuschieben. Einen überraschenden Vorstoß erzielte die SPD/FDP–Koalition auch bei einem anderen Thema, wo mit einer Entscheidung kaum zu rechnen war. „Die vergessenen Opfer des Nationalsozialismus werden entschädigt“, nahmen sich die Koalitionäre vor und wollen „umgehend einen Härtefonds einrichten“. In welchem Umfang das geschehen soll, blieb allerdings noch offen. Bei der Umweltpolitik will man in vielen Punkten auf Bundesratsebene initiativ werden, etwa bei der Durchsetzung härterer Umweltstrafen. „Die Abfallbeseitigung wird auf eine ökologische Abfallwirtschaft umgestellt“ - wie und in welchem Zeitraum, bleibt offen. Festgeschrieben wurde in diesem Kapitel nur, daß sich Hamburg an der umstrittenen Sondermülldeponie Hoheneggelsen bei Hildesheim beteiligen will. Und: „Für alle Planungen und umweltrelevanten Produktionsprozesse muß eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgenommen werden.“ Das jedoch dürfte die davon betroffenen Unternehmen nur wenig berühren, sollen sie doch eine ganze Reihe von Geschenken erhalten. Das beginnt bei der Senkung der Gewerbesteuer um 20 Prozentpunkte und hört bei dem geplanten Abbau der kommunalen Steuern und Gebühren für Abwasser– und Abfallbeseitigung sowie der Senkung für die Strom– und Wasserpreise nicht auf. Von dem so gesparten Geld können sich Hamburger Unternehmen künftig bei bislang staatseigenen Betrieben einkaufen. In diesem Bereich will der neue Senat große Anteile und ganze Firmen abstoßen. Ärgerlich für die betroffenen Belegschaften ist dabei vor allem, daß es sich besonders um florierende und gewinnbringende Firmen wie etwa vier Tochtergesellschaften der Hochbahn AG oder die „Hamburger Außenwerbung“ handelt. Privatisierungen sind auch im sozialen Bereich vorgesehen: Man will hierbei „insbesondere bei Neuinvestitionen prüfen, ob diese nicht durch private Träger durchgeführt werden können“. Koordinator der neuen Hamburger Wirtschaftspolitik wird der bisherige FDP–Fraktionschef Wilhelm Rahlfs sein. Der Liberalen–Vorstand mußte sich am Donnerstag abend auf diesen als wenig qualifiziert geltenden Mann einigen, weil aus den eigenen Reihen und auch bundesweit kein kompetenterer Mensch zur Besetzung des Postens als Wirtschaftssenator zu finden war.

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