: Viel Energie und wüste Gigs
Sarajevo-Bands rocken in Berlin. Ein Gegenbesuch zu den Berliner Bands für Bosnien. Eine Message: „Kommt zurück, wir haben Spaß!“ ■ Von Eberhard Seidel-Pielen
Mit dem Stolz eines gerupften Pfaus betritt der schlacksige Junge die winzige Bühne des „Schoko- Laden“ in Berlin-Mitte. Mit fett feistem Grinsen schiebt er dem weiblichen Publikum seinen Unterkörper entgegen. Etwas entschiedener und vor allem fester als Michael Jackson greift er sich zwischen die Beine, gießt sich eine Flasche Bier über den Kopf, grient.
Noch ehe Damir, Frontman von „Protest“, der „einzigen und wahren Punkband Sarajevos“, auch nur einen einzigen Ton von sich gibt, hat er das Publikum in der Tasche. Aus zwanzig Flaschen kommt die Antwort. Beglückt steht der 21jährige im Bierregen. Genüßlich treibt er die Pose auf die Spitze, bleckt charmant mit den zwei noch verbliebenen, reichlich angeschlagenen Schneidezähnen. Mit neckischem Zungenschlag macht der Frontman die Jungs und Mädels an. Die revanchieren sich. Sekunden später hängt das T-Shirt in Fetzen am spindeldürren Körper.
In den nächsten dreißig Minuten liefern die vier bosnischen Musiker einen wüsten Gig, wie man ihn in Berlin nur selten erlebt. Auch am Tag darauf, während des Konzerts im Berliner „Pfefferberg“, anläßlich des traditionellen jugoslawischen Tages der Jugend, bringt Damirs Bühnenshow die Verantwortlichen an den Rand eines Nervenzusammenbruchs. Wie ein Punchingball wird der Sänger von dem überwiegend bosnischen, serbischen und kroatischen Publikum von der Bühne gerissen, wieder zurückgeworfen, mündet das Konzert in eine Wasser- und Bierschlacht.
Mit irrem und wirrem Blick versucht die hauseigene Security, Berliner Ordnung zu schaffen. Rüde „mahnt“ er Leute aus dem Publikum zu Coolness, zu mehr preußisch-protestantischer Gelassenheit, schüttelt den einen oder anderen kräftig durch. Vergeblich. Aus Angst vor finanziellen Folgen des ungehemmt ausgelebten „Sarajevo-Feeling“, so der Titel eines „Protest“-Songs, baut der Technikmeister bereits während des Konzerts eilig einen Teil der Anlage ab.
Sarajevo-Feeling, das ist für Damir die Summe der Erfahrungen der letzten vier Jahre, seinem Heranwachsen im Krieg. „Als wir 1990, mit fünfzehn Jahren, ,Protest‘ gegründet haben, waren wir eine Band wie tausend andere auch, ohne wirklich eigenen Stil, ohne Format.“ Die Psyche der Menschen sei beschränkt gewesen, es gab mehr Barrieren, Musik zu machen, und die Menschen hätten damals sehr moralisch gedacht, erläutert er in ein paar ruhigen Minuten. All das habe sich mit dem Krieg geändert.
„Nachdem wir genug Frust und Energie gesammelt haben, ist etwas in mir ausgebrochen. Sarajevo, das waren vier Jahre Knast. Und Musik war und ist die einzige Form, die Energie loszulassen. Wir haben gelernt, daß es nur auf eines ankommt, daß der Kopf auf seinem Platz bleibt, alles andere ist unwichtig.“ Die Musiker versuchen das Beste aus den Ereignissen der letzten Jahre zu machen. „Unsere Musik sieht aus wie Spaß und Jux, aber sie ist eigentlich finster und schwarz“, erläutert Dado, Gitarrist von „Protest“. „Wir haben so viel Mist erlebt. Die einzige Wahl, die du hast, ist, darüber zu lachen. Wir haben gelernt, egal wie schlimm etwas ist, es gibt immer noch eine parodistische Seite, worüber man sich amüsieren kann. Die Leute haben keinen Bock mehr auf Düsternis.“
Auch nach dem zweiten Berliner Konzert kann Damir nicht glauben, daß die Musik ankommt. Schließlich sängen sie auf serbo- kroatisch, wundert er sich und schiebt seine verspiegelte Sonnenbrille über die Haare. Es ist das erste Mal seit Jahren, daß sie vor einem fremden Publikum spielen. Nach fünfzig Konzerten im belagerten Sarajevo, immer vor dem gleichen Publikum, ist das Gefühl für neue Gesichter und damit Herausforderungen verlorengegangen.
„Manches Mal habe ich das Gefühl, das ist alles eine große Verarsche, was hier in Berlin passiert, alles erscheint irreal.“ Auch nach fünf Tagen in der Stadt und nach zwei Konzerten kann er immer noch nicht glauben, daß das irgend etwas mit seinem Leben zu tun haben soll. Damir läßt sich treiben und wartet ab, was mit ihm passiert. „Das Ganze ist wie ein Film. Ich bin da irgendwie reingekommen, und es passiert eben.“
Alles geschieht im Zeitraffer. Im April reiste Damirs Band mit den Moron Brothers den vierzig Musikern der Initiative „Berliner Bands für Bosnien“ (siehe taz vom 12. April) nach Mostar. Damals haben sie zum erstenmal seit vier Jahren die belagerte Stadt verlassen, um die Berliner nach Sarajevo einzuladen. Und nun die Gegeneinladung, an die kaum jemand glaubte. Zumindest daran nicht, daß fast alle Musiker Pässe und Visa bekommen sollten. Schließlich sind die meisten von ihnen wehrpflichtig, einige müssen nach dem Berlintrip ihren Militärdienst antreten. Aber die Einladungen von Vereinen wie Fips e.V., „Berliner Bands für Bosnien“ und Süd- Ost e.V. waren kreditwürdig, überzeugten die Verantwortlichen von der Wichtigkeit der Mission. „Das Leben scheint weiterzugehen“, kommentiert Damir etwas ungläubig die Entwicklung.
Die jungen Musiker sind zerrissen. Eigentlich will keiner von ihnen mehr über den Krieg reden, würden sie die Gedanken gern aus ihren Köpfen verbannen. Aber kaum erzählen Doma und Tela von sich, rücken ihre Fronterfahrungen ins Zentrum, ihre gemeinsame Zeit im Schützengraben, als sie die Moron Brothers gründeten, „um einen Weg zu finden, Mensch zu bleiben“. Auch die Erdbeerbowle im Garten vom „Pfefferberg“ sowie der strömende Regen lenken nicht ab.
„Kein Mensch, keine Idee, keine Ideologie wird mich je mehr dazu bringen, eine Uniform anzuziehen“, erklärt Moron Brother – Bassist Doma. Unvermittelt stimmt er einen Singsang an, als Gitarrist Tela seine Kampfeinsätze aufzählt, schaut ihm in die Augen, zwingt ihn in die Melodie, lacht etwas überdreht, um seinem Freund in die Arme zu fallen und an sich zu drücken. Der Rest ist Rock'n'Roll, das ist was bleibt und für den Moment zählt.
Zurück auf der Bühne. Tela und Doma spielen sich die Bälle zu, treiben sich an. Doma reißt die Arme in die Höhe schreit „Sarajevo-Feeling“ ins Mikrofon, zitiert den „Protest“-Song, in dem es heißt: „Liebe Freunde kommt zurück und seht, wie wir Spaß haben können!“ Eine Strophe, die an diesem Abend von den gastierenden Bands wiederholt gesungen wird. Eine versteckte Anklage an die Flüchtlinge im Publikum, die das Land verließen, während die Musiker in Sarajevo ausharrten. Der Text soll provozieren und ist auch gut genug für leichte Spannungen, aber zu wenig, um die Party wirklich zu gefährden. Eine innerbosnische Angelegenheit. Für das Berliner Publikum war es vor allem ein gutes Konzert. Dem gelernten New Yorker und Neuberliner Peter O. Zierlein entlockte es gar den entzückten Kommentar: „Ja, das ist wirklicher Rock'n'Roll. Schmutzig, laut und krachend.“
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