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Videospiel-Genre „cozy Games“Zocken für eine bessere Welt

Unsere Kolumnistin zockt für ihr Leben gern. Seit einiger Zeit auch „cozy Games“, die in krisengebeutelten Zeiten mithilfe von Hoffnung unterhalten.

Zocken kann auch entspannt sein – wie hier auf der Gamescom 2024 in Köln Foto: reuters

A ls ich vor der Bankfiliale in der Nebelschlucht ankomme, erwartet mich nur das Rauschen des Windes im dunklen Wald. Wo ist die blöde Bänkerin? Ich will ein längeres Schwert und dafür brauche ich die 2.800 Tacken von meinem Konto. Vielleicht ist es ein Bug? Ich gehe einmal raus und wieder rein. Immer noch nichts. Das kann nicht wahr sein! Hat sich diese Grille jetzt echt mit meinem Geld aus dem Staub gemacht? Frustriert schlage ich mit meinem Schwert gegen das Gebäude. Mit einem dumpfen Geräusch fällt der Pappaufsteller um. Ich wurde betrogen.

Wenn ich zocke, verschlucken mich die Spiele. Ich bin keine Zuschauerin wie in Büchern und Filmen, sondern ich handle und muss mit den Folgen klarkommen. Auch damit, dass meine Bänkerin in „Hollow Knight“ mit meinem Geld abgehauen ist.

Die virtuellen Welten sind so immersiv, dass sie mich verändern. Zwar bin ich nun Bän­ke­r:in­nen gegenüber nicht wesentlich misstrauischer als vorher, aber dass Videospiele unsere Persönlichkeit beeinflussen, ist wissenschaftlich erwiesen. Wie genau, das ist schwierig zu erforschen, weil Verhalten komplex ist und nie allein auf Videospiele zurückgeführt werden kann. Zum Beispiel wurde widerlegt, dass Killerspiele Menschen zu Amok­läu­fe­r:in­nen machen.

Eine andere, nicht repräsentative Studie fand 2018 heraus, dass manche Zo­cke­r:in­nen traditionelle Geschlechterrollen bevorzugen, wenn sie Videospiele spielen, die solche häufig abbilden. Viele Spiele normalisieren diese und andere Formen von Sexismus. In „The Legend of Zelda: Tears of the Kingdom“ stöhnen Frauen lasziv, statt zu reden. In „The Witcher 3: Wild Hunt“ tragen relevante weibliche Charaktere enge Kleidung über der sexy Figur.

Die Gegenbewegung

Gegen Sexismus kämpft man in den Games trotzdem selten. Dafür aber gegen andere Umwelt- oder Politikdystopien, so schrecklich, dass niemand dort leben wollen würde. In „The Last of Us“ muss man in einem totalitären Polizeistaat überleben. In „Witcher 3“ Autokratie und Armut. Und dazu springen überall Zombies oder Monster herum. Dieser Pessimismus ist logisch, schließlich will ich als Heldin das Böse besiegen. Spie­le­r:in­nen brauchen solche Konflikte, die sie bewältigen müssen. Oder? ODER?

Seit einigen Jahren gibt es eine Gegenbewegung: „cozy Games“, Spiele mit lauschigeren, optimistischen Welten. Dort geht es nicht darum, Bösewichte zu killen. Stattdessen dekoriere ich Inseln und vernetze mich mit meinen Nach­ba­r:in­nen („Animal Crossing“) oder baue einen Bauernhof und lebe im Einklang mit der Natur („Stardew Valley“). Für die Spie­le­r:in­nen werden diese Welten zu Sehnsuchtsorten. Cozy Games unterhalten mithilfe von Hoffnung, und die ist in Zeiten von Rechtsruck, Klimawandel und Inflation politisch wichtig. Sie lässt uns Ziele für eine nachhaltige und soziale Gesellschaft entwickeln. Etwa: Die Welt vor den CO2-Emissionen der reichsten 10 Prozent retten? Das klingt doch nach einem cozy Spielkonzept für die Zukunft.

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Alexandra Hilpert
Redakteurin
Hat in Leipzig Journalismus studiert und ist seit 2022 fest bei der taz, aktuell im Online-Ressort als CvD und Nachrichtenchefin. Schreibt am liebsten über Wissenschaft, Technik und Gesellschaft, unter anderem in ihrer Kolumne Zockerzecke.
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