Videobeweis-Debatte bei der WM: Keine Experimente mit Schiedsrichtern
Fifa-Chef Sepp Blatter beugt sich dem Druck der öffentlichen Debatte. Im Sommer soll der internationale Fußballverband über technische Hilfsmittel für Schiedsrichter diskutieren.
PRETORIA/JOHANNESBURG taz | Nun ist Joseph Blatter doch noch instinktsicher umgeschwenkt. Seine bis vorgestern noch gültigen Ansichten zählen scheinbar nicht mehr. Nach der harschen Kritik an den Schiedsrichterleistungen bei dieser WM will der Chef des Weltfußballverbandes Fifa jetzt eine Debatte über technische Hilfsmittel anstoßen. "Es wäre unsinnig, sich darüber keine Gedanken zu machen. Wir müssen dieses Thema wieder diskutieren", sagte Blatter am Dienstag in Johannesburg.
Ein erstes Gespräch mit den Mitgliedern des International Football Association Board (Ifab) soll es auf einem Meeting Mitte Juli in Cardiff geben. Zuletzt hatte Blatter die Einführung eines Balles mit Chip, des Videobeweises oder der Torkamera noch abgelehnt. Für die schlechten Schiedsrichter-Leistungen habe er sich bei den betroffenen Teams aus England und Mexiko entschuldigt. "Ich habe ihnen gesagt: Es tut mir leid, was geschehen ist."
Inwieweit Blatter nur auf Zeit spielt und die Kritiker beruhigen will, ist ungewiss. Am Dienstag kam Blatter wieder einmal auf die Unwägbarkeiten der Technik zu sprechen: "Wenn die Systemsicherheit gegeben ist, werden wir die Goal-Linien-Technologie einführen. Aber für die WM 2010 reicht es noch nicht", sagt Blatter einem Schweizer Blatt. "Da machen wir keine Experimente, auch nicht mit zusätzlichen Schiedsrichtern."
Von den Verantwortlichen der Fifa-Schiedsrichterkommission war indessen nichts Substanzielles zu vernehmen. Vorsitzender Ángel María Villar Llona hat sich bis gestern nicht geäußert zu den krassen Fehlleistungen. Man verwies in den vergangenen Tagen allenfalls auf die Protokolle der letzten Ifab-Sitzung vom März. Damals sagte Blatter: "Wieso sollte man die Verantwortung des Schiedsrichters jemandem anderen übertragen? Selbst eine Zeitlupeneinstellung bringt keine Klarheit." Und weiter: "Wird das Spiel für einen Entscheid unterbrochen, könnte es den natürlichen Gang des Spiels beeinflussen und einem beliebigen Team eine Torchance nehmen."
Blatter hat zwar das letzte Wort bei gewichtigen Entscheidungen, doch beraten werden Regeländerungen im International Football Association Board, einem Gremium, das seit 1884 besteht, als England, Schottland, Irland und Wales ein Turnier ihrer Nationalmannschaften veranstalten wollten und dafür einheitliche Regeln brauchten. Die Fifa erkannte bei ihrer Gründung im Jahr 1904 die Hoheit des Ifab in Regelfragen an.
Seit 1913 entsendet die Fifa Vertreter in diesen Wächterrat. Es sind die Nationalverbände, die Regeländerungen anstoßen müssen. Anträge werden an den Fifa-Generalsekretär gerichtet. Der Weltverband sammelt die Vorschläge und "reicht sie zur Prüfung an die anderen Verbände weiter", wie es von offizieller Seite heißt. "Für die Annahme einer Regeländerung muss eine Dreiviertelmehrheit zu Stande kommen." Das Ifab gilt als extrem konservativ. Die letzte Änderung fand im Jahre 1997 statt. Im März hieß es noch in einer Pressemitteilung: "Der IFAB beschloss des Weiteren, die Torlinientechnologie nicht weiterzuverfolgen." Das soll nun revidiert werden.
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