Video der Woche: Der Social-Media-Münchhausen
Mithilfe riesiger Flügel steigt ein Mann in den Himmel auf und wird zum Youtube-Star. Erste Zweifler melden sich, dann ist klar: es handelt sich um einen Medienkünstler.
Auf geht's, ab geht's, drei Tage Ruhm: Ein holländischer Ingenieur namens Jarno Smeets wurde in dieser Woche zum Internet-Star. In einem millionenfach geklickten Video steigt er per Flügelkonstruktion in den Himmel auf. Doch konnte das sein?, fragten sich viele Kommentatoren im Netz.
Nun ist klar: Die Aufnahme ist ein raffinierter Fake – und Jarno Smeets ebenfalls. Nachdem einige Medien an der Identität von Smeets zweifelten, gestand der Ingenieur in einer niederländischen Talkshow am Donnerstagabend den Fake zu: „Mein eigentlicher Name ist Floris Kaayk, ich bin Filmemacher und Computeranimator.“
Das gefälschte Video war Teil eines mehrmonatigen Online-Experiments des 31-jährigen Künstlers: „Es bestand darin mit einem Blog eine gute Geschichte zu erzählen“, sagt Kaayk. Dafür schlüpfte er in die Rolle des Jarno Smeets, der bestrebt ist sich einen Lebenstraum zu erfüllen: fliegen wie ein Vogel.
„Smeets“ gründete für sein wagemutiges Flugprojekt das Blog Human Birdwings. Zwischen Sommer 2011 bis März 2012 veröffentlichte der „Ingenieur“ vierzehn Videos. Sie zeigen, wie er Mitstreiter findet und seine Flügelkonstruktion langsam Gestalt annimmt.
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Vier Meter lange Flügel
In den Videos sieht man wie Smeets zwei vier Meter lange Flügel aus Drachenstoff bastelt. Da seine Brustmuskulatur nicht ausreicht, um sie schnell genug zu bewegen, hilft er mit zwei Kleinmotoren nach. Seine Flügel steuert er mit zwei Nintendo-Wii-Controllern, die unter seinen Armen befestigt sind. Sobald Smeets mit den Armen flattert nehmen die Motoren via Handy den Betrieb auf: die Flügel schlagen. Hält der Vogelmann seine Arme still, bleiben die Flügel in Segelstellung.
Nachdem ein erster Flugversuch im Januar fehlschlägt, gelingt ihm im März die scheinbare Sensation. Smeets hebt ab und fliegt 100 Meter. Der Ingenieur stellt nebst dem Flugvideo eine Pressemitteilung online. Wer die angegebene Telefonnummer wählt, der hört: „Voicemail Jarno Smeets.“
„Nichts weist auf ein Fake hin“
Das Gadget-Blog Gizmodo befragte mehrere Experten auf dem Gebiet der Computeranimation. Diese bescheinigten, das Video sei ein gut gemachter Fake: „Das ist die perfekte PR für ein Visual-Effects-Studio. Ich wünschte ich hätte die Idee gehabt!“, schwärmt Ryan Martin, Technischer Direktor der Visual-Effects-Firma Industrial Light & Magic.
Einige Medien ließen sich von dem realistisch anmutenden Blogprojekt auch täuschen. So erklärte ausgerechnet Jamie Hyneman, der in der Dokumentarserie „MythBusters“ urbane Mythen überprüft: „Ich sehe keinen Beleg, dass es ein Fake ist.“ Ein Autor des amerikanischen Technologie-Magazins Wired ließ das Video per Analyse-Software auswerten und kam erstaunlicherweise zum selben Fazit.
Einige Stunden später legten andere Wired-Redakteure einen kritischen Artikel nach: Filmemacher Floris Kaayk hatte für seine Kunstfigur Profile in Sozialen Netzwerken angelegt. Demnach hatte Smeets in Coventry studiert und für eine britische Firma gearbeitet. Das Magazin kontaktierte Universität und Arbeitgeber, jene konnten mit dem Namen allerdings nichts anfangen.
Ein weiteres Projekt-Video zeigt wie Smeets sein Vorhaben einem Professor für Neuromechnanik vorstellt. Der meint, dass es theoretisch gelingen kann. Wired kontaktierte den Akademiker. Er bestätigte das Zusammenkommen. Der Professor wiederholte gegenüber dem Magazin, was er bereits in dem Video sagte: „diese Art von Flug ist prinzipiell möglich.“
Auch eine taz-Anfrage bei einem Luftfahrt-Ingenieur ergab, dass das Unterfangen theoretisch möglich ist. Wer weiß: vielleicht inspiriert die geniale Täuschung den ein oder anderen Hobby-Bastler irgendwo auf der Welt, diesen faszinierenden, uralten Menschheitstraum doch noch zu erfüllen.
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