Vichy-Polizeichef ermordet

■ René Bousquet (84) sollte vor Gericht gestellt werden

Paris (taz) –Der Polizeichef des Vichy-Regimes, René Bousquet, ist gestern morgen in seiner Pariser Wohnung erschossen worden. Der 84jährige war seit 1992 der „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ angeklagt. Als Generalsekretär der Polizei von April 1942 bis Dezember 1943 hatte Bousquet die „Endlösung“ für Frankreich vorbereitet; er wurde für die Deportation von 22.931 Juden aus Frankreich verantwortlich gemacht. Zugleich hatte er Bestimmungen zum Schutz jüdischer Kinder abgeschafft und selbst Zweijährige ausgeliefert. Im September sollte ein Gericht entscheiden, ob ein Prozeß vor dem Schwurgericht eröffnet werden sollte.

Bousquets Eifer in Sachen Judenverfolgung ist in einem Bericht über ein Treffen mit dem deutschen SS-General Karl Oberg vom 2. Juli 1942 dokumentiert. Dabei hatte Bousquet den Nazis selbst vorgeschlagen, die französische Polizei an den Juden-Razzien zu beteiligen. Zuvor hatte das Vichy- Regime eine Beteiligung französischer Beamter abgelehnt. Bousquet akzeptierte auch, daß die Razzien über das besetzte Frankreich hinaus in der freien Zone stattfanden, wo viele Juden Zuflucht gesucht hatten. Gegenüber SS-General Oberg verpflichtete er sich, sofort 20.000 Juden aus der besetzten Zone und 10.000 Juden aus der freien Zone auszuliefern. Zwei Wochen nach dem Treffen kam es zur ersten großen Juden- Razzia in Paris.

In anderen Punkten ging Bousquet über die Forderungen der Deutschen kaltblütig hinaus: So befahl er den Präfekten, nicht nur Juden über 16 Jahren auszuliefern, wie es die Nazis verlangt hatten, sondern auch Kinder. Im August 42 wurden auf sein Drängen 194 jüdische Kinder aus Südfrankreich in den Tod geschickt.

In der Anklageschrift heißt es ausdrücklich, ohne Hilfe der französischen Polizei hätten die Deutschen niemals soviele Juden verhaften und töten können.

Bousquet hat sein Handeln nie geleugnet. Doch er interpretierte es stets als Tat eines Beamten, der die Politik des Vichy-Regimes ausgeführt habe; persönliche Schuld gestand er nie ein. 1949 war er des Verrats angeklagt worden, über die Judenverfolgung wurde damals kein Wort verloren. Er wurde zu fünf Jahren Entzug der Bürgerrechte verurteilt, doch das Hohe Gericht hob die Strafe sogleich wieder auf und sprach ihn frei – angeblich wegen seiner Verdienste zugunsten der résistance. Damals erhielt er sogar das Abzeichen der Ehrenlegion zurück. Nach dem Krieg führte er ein bequemes Leben als Geschäftsmann: Er wurde Direktor der Indochina-Bank, gab eine Zeitung heraus und kandidierte 1958 bei Parlamentswahlen.

Der Fall Bousquet illustriert Frankreichs Verhältnis zur Kollaboration mit den Nazis: 30 Jahre lang hatte das Land die eigene Geschichte verleugnet. Für Vichy waren nur einige rechtsextreme Antisemiten zuständig. Erst langsam setzt sich die Auffassung durch, daß in Vichy Beamte und Technokraten am Werk waren. Bousquet ist das Paradebeispiel für den hohen Staatsbeamten und Geschäftsmann, der unbeschadet von einem Regime zum nächsten seine Fäden ziehen konnte.

Jetzt fragt sich, wer ein Interesse an dem Mord haben konnte. Da der Prozeß nahe schien, kommen Nachfahren von Bousquet-Opfern wohl kaum in Frage. Der etwa 50jährige Mörder hatte kurz vor neun Uhr in Bousquets Wohnung im sechsten Stock eines Hauses im vornehmen 16. Arrondissement unter dem Vorwand geklingelt, Bousquet einen Brief des Innenministeriums übergeben zu wollen. Er schoß vier Mal. Ein Verdächtiger wurde gegen mittag verhaftet. Die Liga gegen Rassismus und Antisemitismus (LICRA) sowie der Anwalt des „Vereins der Kinder der Deportierten“ bedauerten gestern, daß der Mord den Prozeß gegen Bousquet und damit ein Aufarbeiten der Geschichte verhindert. Bettina Kaps