VfB Stuttgart gegen Hamburger SV: Sitzfleisch im Ländle
Nach dem 1:0 gegen Hamburg verwandelt sich Stuttgarts bayerischer Trainer Armin Veh zum Gesinnungsschwaben.
VfB Stuttgart: Ulreich - Osorio, Fernando Meira, Delpierre, Boka (70. Beck) - Pardo - Hitzlsperger - Hilbert, Bastürk, da Silva (67. Marica) - Cacau (87. Pischorn)
Hamburger SV: Rost - Boateng, Reinhardt, Demel, Atouba (86. Sorin) - Benjamin (60. Zidan), Kompany, de Jong - Trochowski (75. Sam), van der Vaart - Guerrero
Schiedsrichter: Rafati (Hannover) - Zuschauer: 55 800 (ausverkauft)
Tor: 1:0 Hilbert (20.)
Gelbe Karten: - / Rost (1), Reinhardt (3)
Beste Spieler: Ulreich, Cacau / Atouba, Kompany
STUTTGART taz Der Schwabe pflegt ein geordnetes Leben mit festen Ritualen. Zu diesen gehört für die gutsituierten Fans des VfB Stuttgart auf den besseren Plätzen der Haupttribüne die Stadionflucht zehn Minuten vor Abpfiff: raus aus dem Rund, rein in den Daimler und schnell hoim zum "Sportschau"-Gucken. Am Samstag aber blieben die Hintern ganz fest auf den rot-weißen Sitzkissen kleben. Der VfB führte 1:0, die Fans aber sahen mit Schaudern, wie der Hamburger SV die Schwaben auseinandernahm. Jede Sekunde drohte der Ausgleich zu fallen, vom Himmel goss es wie aus Kübeln, die Hanseaten versuchten es bei Küstenwetter mit einer Sturmwelle und schossen aus allen Lagen. Hätten die Herren van der Vaart, Guerrero oder de Jong wenigstens einmal den Ball einem besser postierten Mitspieler aufgelegt, dann hätte es zumindest mit dem Ausgleich auch noch geklappt. "Wir haben gut gespielt, nur eben unsere Chancen nicht genutzt", klagte HSV-Trainer Huub Stevens über die erst vierte Niederlage seiner Mannschaft in dieser Saison. So ist es.
Für den VfB Stuttgart war das 1:0 der vierte Heimsieg in Folge, die letzten acht Spiele hat der Deutsche Meister nicht mehr verloren, 20 von 24 möglichen Punkten geholt. Anfang Februar stand die Mannschaft noch auf Rang zehn der Tabelle, nach einem 1:3 zu Hause gegen Hertha BSC schaute man verhuscht nach unten, die internationalen Plätze schienen weiter weg als der Mond. Jetzt sind es nur noch zwei Punkte auf Platz drei, der zur Teilnahme an der Qualifikation zur Champions League berechtigt. Und so wehten nach dem Abpfiff Erinnerungen an die vergangene Saison durchs Stadion. Auch da wurde der Lauf an die Spitze von Spielen begleitet, die Stuttgart nur mit Mühe und mit Glück gewonnen hatte.
Gegen den HSV zeigte der VfB 30 Minuten laufstarken, kombinationssicheren Offensivfußball. Doch nach der Führung durch Roberto Hilbert (20.) und vor allem nach der Pause brach Stuttgart ein. Allerdings ohne Folgen, das Tor reichte, und in Schwaben sagt man jetzt, wer solche Spiele am Ende noch gewinnt, dem ist alles zuzutrauen.
Nun ja, der Titel ist weg, aber die Champions League plötzlich wieder im Blick. Ein Fakt, über den Armin Veh am liebsten gar nicht reden würde. Der Mann aus Augsburg versucht es mit dem schwäbischen Weg des Hählinge[heimlich]-nach-oben-Schleichen. Nur nicht auffallen - so ist man schließlich auch Meister geworden. "Im Ernst", sagt er, "anders als im Vorjahr haben wir eben jetzt unsere Serie. Oder sollen wir die letzten sieben Spiele auch noch gewinnen?"
Leicht wäre das sicher nicht, der VfB muss noch nach Leverkusen, zu den Bayern, nach Dortmund und nach Wolfsburg, aber wenn der Schwabe in Schwung ist, dann läuft es auch. Im Moment jedenfalls verkraftet der Meister selbst die Ausfälle wichtiger Spieler. Gegen Hamburg fehlten mit Gomez, Tasci, Magnin und Khedira gleich vier Stammkräfte. Und auch der Rest des Kaders schien nicht besonders frisch zu sein. Aber erfolgreich, nach der Winterpause war nur der VfL Wolfsburg besser als die Schwaben.
Die Perspektiven fürs Finale also sind da. Aber Veh winkt ab: "Wissen Sie was", sagte er in die Journalistenrunde, "wenn wir Zweiter werden, dann höre ich auf - denn was soll ich dann noch erreichen?" Da schau her, jetzt haben sie in etwas mehr als zwei Jahren aus dem Bayern Veh einen Gesinnungsschwaben gestrickt. Kloimachen gehört schließlich wie die Stadionflucht zu typischen Ritualen im Süden der Republik.
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