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Verwaiste Eltern

■ Gemeinsam lernen Eltern, über den Tod ihres Kindes hinwegzukommen

Sabine Weissinger-Tholen hat ihr Kind verloren. Vor 10 Jahren kam ihr Kind krankheitsbedingt durch Kaiserschnitt zur Welt und starb dann in der Kinderklinik. Das einzige, was ihr geblieben ist, ist ein Foto – und Schuldgefühle: „Mein Kind ist ohne mich gestorben. Ich konnte es nicht betreuen“.

Die Sozialpädagogin, hat sich aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen mit dem Tod zur Trauerbegleiterin ausbilden lassen und bietet seit einigen Jahren in Zusammenarbeit mit dem Bildungswerk evangelischer Kirchen im Lande Bremen und dem Diakonissen Krankenhaus Trauerseminare für verwaiste Eltern oder Elternteile an: „Ich kann ihnen die Trauer nicht abnehmen, aber ich bin eine erste Hilfe, eine begleitende Zuhörerin“. Mit Elementen aus der Mal- und Musiktherapie, sowie durch Entspannungsübungen versucht sie, den Trauerprozeß zu unterstützen.

Gerade der Tod eines Kindes trifft die Eltern und die Familie völlig unerwartet. Der „normale“ Lauf der Dinge ist, daß Kinder den Tod der Eltern miterleben müssen, aber nicht umgekehrt. „Der Tod ihres Kindes übersteigt das psychische Fassungsvermögen der Eltern“, weiß Peter Bick, Öffentlichkeitspastor der Bremischen Evangelischen Kirche, „Wut, Ohnmacht und Verzweiflung bricht hervor“.

Bei der Formierung der Trauergruppen werden homogene Todesursachen der Kinder berücksichtigt, denn die Erfahrungen von Eltern, die ein älteres Kind verlieren, sind meist sehr verschieden von denen, deren Baby kurz nach der Geburt stirbt.

„Für Eltern, die ältere Kinder durch Krankheit, Unfall oder Suizid verloren haben, ist dies das Schlimmste, was ihnen überhaupt passieren kann“, berichtet Sabine Weissinger-Tholen. Sie sind oft in einem Alter, wo sie keine weiteren Kinder mehr bekommen und lernen müssen, mit dem Tod ihres Kindes zu leben. Gerade bei Eltern, deren Kinder sich das Leben nehmen, brechen solche Schuldgefühle hervor, daß sie den Tod verdrängen müssen, um überhaupt weiterleben zu können.

Mit Eltern, die ihr Baby durch Totgeburt, plötzlichen Säuglingstod oder Frühtod verloren haben, veranstaltet Sabine Weissinger-Tholen getrennte Trauerseminare. Diese Eltern machen ganz andere Erfahrungen mit dem Tod ihres Kindes, weil das ungelebte Leben des Kindes ständig präsent bleibt. Frauen, die eine Totgeburt verkraften müssen, finden sich in einer Situation wieder, daß sie 9 Monate ein Kind in ihrem Bauch getragen haben und dann plötzlich vor dem Nichts stehen. In so einem Fall versucht die Trauergruppe im gespräch, die Ängste vor einer neuen Schwangerschaft aufzufangen.

Auch das soziale Umfeld erwartet, daß der Tod eines Babys schneller als der eines älteren Kindes verarbeitet wird. Bei einer Totgeburt bekommen Verwandte und Bekannte das Kind meist gar nicht zu Gesicht, und ihnen fällt es insofern schwer, einen passenden Umgang mit den verwaisten Eltern zu finden. „Das schlechteste, was man den Eltern in so einer Situation sagen kann, ist, daß sie ja wieder ein neues Kind bekommen können“, betont Sabine Weisssinger-Tholen. Aber auch das Umfeld hat eben nicht gelernt, mit dem Tod umzugehen und reagiert unsicher oder, aus Hilflosigkeit, überhaupt nicht.

Die Trauerbegleiterin rät, die betroffenen Eltern selbst zu fragen, wie man helfen kann. Man muß deutlich machen, daß man helfen möchte, aber nicht weiß wie. Dazu gehört auch, zu akzeptieren, daß einige Eltern jede Hilfe von außen ablehnen: “Jeder trauert individuell, es bringt nichts dafür Regeln aufzustellen.“

Die Grundproblematik sehen Sabine Wessinger-Tholen und Pastor Bick in der Tabuisierung des Todes in unserer Gesellschaft. Auch wenn wir wissen, daß der Tod zu unserem Leben gehört, verdrängen wir jeden Gedanken daran.

Früher gab es noch Rituale wie das Trauerjahr, die die Erfahrungen mit dem Tod aufzufangen versuchten. Zudem wurden die Toten im Haus aufbewahrt, so daß die Familie und Bekannte ausreichend Zeit hatten, von dem Toten Abschied zu nehmen.

Rituale dieser Art fehlen heute, aber bestimmte Erfahrungen sind für verwaiste Eltern ganz wichtig, so etwa das tote Kind wenigstens einmal im Arm gehalten und gefühlt zu haben. Oder auch ein Foto vom Kind mit nach Hause zu nehmen, so daß man sagen kann: Das da ist mein Kind. Wie bedeutsam solche Erfahrungen für die Eltern sind, weiß Sabine Weissinger-Tholen aus Gesprächen mit ihrer Trauergruppe: “Je intensiver der Tod erlebt wurde, um so leichter fällt später die Verarbeitung.“

Aber auch das Krankenhauspersonal muß lernen, mit der Problematik des Kindstodes umzugehen: “Ärzte sollten sich nicht hinter ihrer Medizin verstecken, sondern müssen auch im psychosozialen Bereich geschult werden.“

Sabine Weissinger-Tholen würde gerne intensiver Öffentlichkeitsarbeit zur Enttabuisierung des Todes leisten und eine Anlaufstelle für betroffene Eltern schaffen, die dann auch in Einzelgesprächen beraten werden könnten. Eine ABM-Stelle für eine „Beratungsstelle für Verwaiste Eltern Bremen“ ist jetzt beantragt, Träger wäre das Kinderschutzzentrum. ans

Informationen zu den Trauerseminaren gibt es bei Sabine Weissinger-Tholen; Telefon 21 35 01

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