: Verurteilung Israels in der UNO
Einstimmig verabschiedete der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Resolution zum Blutbad am Tempelberg/ Erfolg für die USA / PLO enttäuscht über Blockfreie ■ Aus Washington Rolf Paasch
Die am Freitag abend nach fünftägigen Verhandlungen vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verabschiedete Resolution zur Ermordung von 19 Palästinensern auf dem Jerusalemer Tempelberg durch israelische Sicherheitskräfte wird in den USA als diplomatischer Triumph der Bush-Administration gewertet. Zwar verurteilt die Resolution Nummer 672 ausdrücklich „die von israelischen Sicherheitskräften verübten Gewaltakte, die zu Verletzungen und dem Verlust von Menschenleben führten“. Auch wird darin UNO-Generalsekretär Perez de Cuellar ersucht, nach der Entsendung einer Untersuchungskommission in die Region bis zum 24. Oktober einen Bericht über die Situation der Palästinenser in den besetzten Gebieten vorzulegen.
Die einstimmig verabschiedete Resolution entspricht in ihrer Formulierung weitgehend den Vorstellungen der USA, die mit ihrem Eintreten für eine milde Verurteilung Israels weitergehende Resolutionsentwürfe anderer Sicherheitsratsmitglieder verhindern konnten. Mit der erstmaligen Verurteilung ihres engsten Verbündeten seit dem israelischen Einmarsch im Libanon von 1982, ist es den USA gelungen, den Wünschen der arabischen Verbündeten im Kampf gegen Saddam Hussein zu entsprechen, ohne der Forderung der PLO nach einer direkten Einmischung der UNO in bezug auf die Behandlung der Palästinenser in den von Israel besetzten Gebieten nachgeben zu müssen.
Eine vom britischen Präsidenten des Sicherheitsrats, David Hanney, verlesene Zusatzerklärung vermerkt ausdrücklich, daß die grundsätzliche Verantwortung für den Schutz der Palästinenser nach der Vierten Genfer Konvention weiterhin bei Israel als der Besatzungsmacht liege. Da die Rolle der UN in dieser Erklärung, nicht aber in der sehr generell gehaltenen Resolution erwähnt wird, wird es der PLO schwer fallen, nun von einer nach internationalem Recht verankerten Rolle der UNO in dieser Frage zu reden. Die Reaktion auf die Resolution machte denn auch deutlich, wo die Gewinner und Verlierer zu suchen waren. „Wir können nur unser Gefühl der Unzufriedenheit über das Verhalten der USA ausdrücken“, so schnaubte Nasser Kidna, Mitglied d er PLO-Delegation bei der UNO. Am Samstag rief die Palästinensische Befreiungsorganisation dann ihren UNO-Vertreter Suhdi Labib Taresi aus New York ins Hauptquartier nach Tunis zurück, damit er über seine Verhandlungsführung Rechenschaft ablege. Trotz seiner Lobbyversuche hatten die nicht-ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates aus dem Lager der Blockfreien, wie Äthiopien, Kolumbien, die Elfenbeinküste, Jemen, Malaysia, Zaire und selbst Kuba auf Drängen der USA am Ende für den abgeschwächten Resolutionsentwurf gestimmt.
Dagegen klang die Kritik der Israelis an der ungewohnten Schelte durch den großen Bruder USA eher wie eine ritualisierte Pflichtübung. Der israelische UNO-Botschafter Johann Bein kritisierte anschließend, daß in der Entschließung nicht der Grund für die „tragischen Ereignisse in Jerusalem“, nämlich der „nicht provozierte Angriff auf jüdische Gläubige“ genannt werde. Bein sagte, der Sicherheitsrat sei dem irakischen Präsidenten Saddam Hussein „in die Falle gegangen“.
Vor einer solchen Falle war die Bush-Administration in der letzten Woche bereits von den Vertretern zahlreicher jüdischer Organsiationen in den USA gewarnt worden. New Yorker Rabbis haben für den 20. Oktober zu einem nationalen „Sabbath des Protestes“ aufgerufen. Und der Präsident des „American Jewish Congress“, Robert K. Lifton, hat der Administration vorgeworfen, Israel aus „politischem Opportunismus“ und zur Befriedigung der neugewonnenen arabischen Verbündeten plötzlich im Stich zu lassen.
Nur wenige liberale jüdische Organisationen, wie die „Americans for Peace Now“ unterstützten die Bush-Administration in ihrem offensiven Vorgehen bei der Formulierung der UNO-Resolution — in der Hoffnung, damit eine schärfere Kritik an dem Vorgehen Israels verhindern zu können. Neueste Meinungsumfragen in den USA deuten an, daß das Blutbad am Tempelberg die Sympathien vieler AmerikanerInnen für Israel zumindest zeitweise abkühlen lassen. 46 Prozent der vom Wochenmagazin 'Newsweek‘ Befragten geben an, ihre Sympathien für Israel hätten im Vergleich zum vergangenen Jahr abgekommen, bei 43 Prozent traf dies bei der PLO auch zu. 60 Prozent der Interviewten wollen, daß die USA Druck auf Israel ausüben, um einen Kompromiß in der Palästinenserfrage zu erreichen.
Zu einem offensiven Auftreten vor der UNO war George Bush auch von den westlichen und permanenten Mitgliedern des Sicherheitsrats gedrängt worden. Vor allem der französische Staatspräsident Fran¿ois Mitterrand soll Präsident Bush in einem Telefongespräch ermahnt haben, dem innenpolitischen Druck zu widerstehen und der Koalition gegen Irak durch eine eindeutige Kritik an Israel absolute Priorität einzuräumen.
Am Ende des Ringens um die Resolution ist es der US-Administration noch einmal gelungen, Israel trotz der veränderten geopolitischen Situation nicht allzu sehr vor den Kopf zu stoßen. Langsam jedoch werden sich die Israelis und die jüdische Gemeinde in den USA an eine Veränderung des US-israelischen Verhältnisses gewöhnen müssen. Nach der Annäherung zwischen Tel Aviv und Moskau und dem neuen Zweckbündnis zwischen den USA und Syrien wird die zu Zeiten Ronald Reagans noch tabuisierte „strategische Partnerschaft“ zwischen den USA und Israel immer mehr an Bedeutung verlieren. Nach der anfänglichen Erleichterung über das Zurücktreten des Palästinenserproblems durch die Invasion Iraks wird nun auch den jüdischen Organisationen in den USA langsam klar, daß Israel neben Jordanien der größte Verlierer des Revirements in Nahost zu werden droht — ganz gleich, wie der Konflikt mit dem Irak ausgehen wird.
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