Vertuschte Verseuchung: Dioxin schon im März festgestellt
Futter-Hersteller meldete giftige Probe nicht. Proben enthalten bis zu 78-mal mehr Dioxin als erlaubt. Verbraucherzentrale wirft Behörde Verharmlosung vor.
HAMBURG taz | Der Futter-Hersteller Harles & Jentzsch hat bei einer Eigenkontrolle schon im März zum ersten Mal Dioxin in einer Fettprobe gefunden, dies aber verschwiegen. Wie das schleswig-holsteinische Landwirtschaftsministerium bestätigte, entdeckte die Staatsanwaltschaft Itzehoe entsprechende Unterlagen bei einer Razzia in der Firma am 5. Januar. "Das hätte sofort gemeldet werden müssen", sagte Ministeriumssprecher Christian Seyfert. Weil die Meldung ausblieb, habe das Ministerium nun Strafanzeige gestellt.
Der Messwert im März war nicht der einzige, den das Unternehmen in Uetersen vertuscht hat: Bis Oktober gab es zwei weitere Testergebnisse, die meldepflichtig gewesen wären. Das Unternehmen informierte die Behörden aber erst am 23. Dezember per Telefon und am 27. per Post über ein kritisches Testergebnis aus dem November. Am 29. Dezember ließ die Landesregierung Proben nehmen.
Wie das Kieler Landwirtschaftsministerium am Freitag mitteilte, lag die Giftigkeit dieser Proben noch weit über der Probe vom März: In neun von zehn Fällen war die Belastung zu hoch. Es war bis zu knapp 78 Mal so viel Dioxin enthalten wie erlaubt.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft müssen noch Hunderte Proben ausgewertet werden, die mindestens bis Juni zurückgehen. Die Firmen sind verpflichtet, Proben sechs Monate lang aufzubewahren. Die Staatsanwaltschaft wertet jetzt Lieferscheine und Rechnungen aus. "Dies wird nicht Tage dauern, sondern Wochen", sagte Oberstaatsanwalt Ralph Döpper.
Harles & Jentzsch schwieg zu den Vorwürfen. "Wir geben keine Auskunft, weil es ein laufendes Verfahren ist", sagte ein Mitarbeiter. Inzwischen scheint aber klar, dass das vergiftete Fett über einen Partner der Firma, die Spedition Lübbe aus dem niedersächsischen Bösel, nach Uetersen gelangt ist. Lübbe mischte Futter, obwohl die Firma seit 2005 keine Genehmigung mehr zur Futterherstellung hatte und daher nicht entsprechend kontrolliert wurde.
Unterdessen hat die Hamburger Verbraucherzentrale davor gewarnt, die Dioxin-Belastung von Lebensmitteln zu verharmlosen. Die Verbraucherschützer kritisieren eine Pressemitteilung der Hamburger Gesundheitsbehörde, die auf die bisher festgestellten geringen Dioxin-Gehalte im Eifett hingewiesen hatte. Bei einem mittleren Wert von fünf Pikogramm Dioxin pro Gramm Eifett könne ein 75 Kilogramm schwerer Mensch pro Woche 80 Eier essen, ohne den Vorsorgewert der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu überschreiten, so die Mitteilung.
Die Verbraucherzentrale wies darauf hin, dass bis zu zwölf Pikogramm gefunden worden seien und dass die Bundesregierung wie die EU strengere Maßstäbe anlegten. Ein sieben- bis achtjähriges Kind mit einem Gewicht von 25 Kilogramm nehme schon mit einem derart belasteten Ei zu viel Dioxin zu sich.
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