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VertretungslehrerEine Klasse für sich

Sie hat studiert und wartet aufs Referendariat. 21 Stunden pro Woche ist sie Vertretung an einer Grundschule. Der Job macht Spaß, bietet aber wenig Perspektive.

Unterrichten ist selten stressfrei Bild: dpa

Rund 4 Prozent der Lehrerinnen fallen pro Schuljahr dauerhaft aus. Seit Beginn des laufenden Schuljahres gibt es deshalb einen Pool für Vertretungslehrer, aus dem die Schulleiterinnen kurzfristig Personal rekrutieren können. Zurzeit sind mehr als 1.800 angehende und ehemalige Lehrerinnen, aber auch Quereinsteiger ohne Lehramtsstudium in dieser Datenbank gelistet. Auch die Gesprächspartnerin der taz hat sich als Vertretungslehrerin eingetragen. Sie möchte ihren Namen nicht in der Zeitung lesen. Kollegen hätten ihr zur Vorsicht geraten. Sie sieht den Pool als Chance für sich und all jene, die keinen Referendariatsplatz bekommen. Von 1.500 angehenden Lehrerinnen haben nach Auskunft der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im Januar lediglich rund 500 ein Referendariat bekommen.

Ich vertrete eine Lehrerin, die seit Schuljahrsbeginn krank ist. Anfang November meldete sich die Schule, an der ich jetzt unterrichte - eine Grundschule in Steglitz. Die Rektorin lud mich zu einem Bewerbungsgespräch ein. Ich war gespannt, weil ich nicht wusste, was mich im öffentlichen Dienst erwartet. Ich bin auch nicht wirklich davon ausgegangen, dass ich die Stelle kriege.

Ich bin jetzt 40 Jahre alt. Nach dem Realschulabschluss habe ich eine Ausbildung als Drogistin gemacht und jahrelang als Verkäuferin gearbeitet. Irgendwann habe ich mir gesagt: "Du hast noch mehr vor." 1994 habe mein Fachabitur nachgemacht, dann relativ flott Sozialpädagogik studiert und zwischendurch meine Kinder bekommen. Meine ältere Tochter wurde kurz nach dem Abitur und die zweite während des Studiums geboren.

Schon während meiner Studienzeit stellte ich fest, dass Sozialpädagogik doch nicht ganz mein Ding ist. Ich hatte eine sehr nette Mentorin, der erzählte ich, dass ich eigentlich lieber Lehrerin wäre. Sie meinte: "Mach doch!" Da war ich schon 32 und überlegte, na irgendwann muss doch mal Schluss sein. Doch man muss immer im Kopf haben, wie lang man noch arbeiten muss. Ich habe mich schließlich doch an der Freien Universität beworben und Biologie auf Lehramt und Grundschulpädagogik studiert.

2006 war ich fertig, seitdem bewerbe ich mich für ein Referendariat. Bis jetzt habe ich drei Absagen bekommen. Ich kam aus der Uni raus, war euphorisch, wollte Gelerntes anwenden und fühlte mich ausgebremst, weil der Senat keine Referendariatsplätze angeboten hat. Das war furchtbar. Als ich von dem Vertretungspool hörte, habe ich mich im August 2007 einfach eingeschrieben. Wunderbar, dachte ich, so kann ich schon mal üben.

Die Rektorin der Steglitzer Grundschule war begeistert von meinem Lebenslauf und fand es ganz gut, dass mal jemand aus einer ganz anderen Richtung kommt und nicht den normalen Werdegang hat: Schule, Schule, Schule. Der Personalrat saß auch dabei und meinte: "Meinen Segen haben Sie, ich habe noch einen Termin und muss schnell weg. Machen Sie alles fertig und faxen Sie es rüber."

"Sie würden aber auch 21 Stunden pro Woche arbeiten?", fragte mich die Rektorin. Im Bewerbungsbogen hatte ich 8 bis 10 Stunden angegeben. "Ach, warum nicht", dachte ich mir. Ich wollte die Stelle unbedingt haben.

14 Tage Probelauf

An einem Donnerstag im November stand ich dann zum ersten Mal allein vor der Klasse. Die Schüler kannten mich, denn ich hatte vorher darum gebeten, dass ich schon mal 14 Tage mitlaufen kann, um mir anzuschauen, wie meine zukünftigen Schüler so sind, wo ich was finde und worum ich mich kümmern muss.

Die Lehrerin, die vor mir die Vertretungsstelle hatte, war jung und hatte gerade ihr Referendariat beendet. Sie war an eine andere Schule gewechselt, weil sie dort eine feste Stelle bekommen hat. Ich hätte ja gerne gehabt, dass das eine ganz Doofe ist, damit ich nachher glänzen kann. Aber ich war sehr begeistert von dieser Frau. Mir hat es sehr gut gefallen, wie sie den Unterricht gestaltet hat. Sie hat eine Vorlage geliefert, da konnte ich nicht schlampen.

Die ersten Wochen waren wirklich hart - und erst mal die Doppelbelastung. Dreimal pro Woche habe ich noch in meinem anderen Job als Verkäuferin gearbeitet. Den habe ich nicht aufgegeben, denn diese Vertretungsstellen sind ja immer nur befristet. Ich kann jeden Tag gekündigt werden.

Es war teilweise so, dass ich bis 14 Uhr in der Schule gearbeitet habe, dann bin ich nach Hause gerannt, habe mich umgezogen und bin zu meinem anderen Job gefahren. Wenn ich um 21 Uhr Feierabend hatte, habe ich mich an die Unterrichtsvorbereitung für den nächsten Schultag gemacht. Mittlerweile arbeite ich weniger im Laden, aber in den Osterferien kann ich mich wieder ganz dem Geschäft dort widmen. Denn mein Vertrag als Vertretungslehrerin geht genau bis zum ersten Tag der Ferien, damit das Land mich in dieser Zeit nicht bezahlen muss. Insgesamt läuft mein Vertretungsvertrag bis zum Sommer.

Kaum Übung

Anstrengend war es auch, von jetzt auf gleich in eine Materie einzutauchen, von der man wenig bis keine Ahnung hat. Ich hätte eigentlich noch jemanden gebraucht, der mich an die Hand nimmt. Dazu ist ja das Referendariat da, aber das fehlt mir ja noch. Ich hatte keine Übung darin, Stunden vorzubereiten. Und kein Mensch setzt sich doch zu Hause hin, wenn er keine Stelle hat, und übt schon mal.

Ich habe den Anspruch an mich selbst, nicht nur irgendwelche Arbeitsblätter auszudrucken, die die Schüler dann ausfüllen. Ich will Unterricht zum Anfassen machen. Das heißt, kreativ zu sein und sich spannende Sachen auszudenken. Jeden Tag ein Highlight zu bieten, ist allerdings auf Dauer auch ermüdend.

Am liebsten mag ich es, wenn ein Thema so gut ankommt, dass es von alleine läuft. Als wir zum Beispiel das Thema Kinderrechtskonvention behandelt haben: Es war unglaublich, wie die Schüler selbst diskutiert und sich Sachen erarbeitet haben. Ich habe mich recht schnell von Dingen verabschiedet, die man an der Uni lernt: von der ganz korrekten, intensiven Vor- und Nachbereitung, vom individuellen Unterricht. Wenn ich den starken und den schwachen Schülern unterschiedliche Aufgaben geben wollte, müsste ich jede Stunde doppelt vorbereiten. Dazu fehlt mir die Zeit.

Ich habe in meinem Examen das finnische und das deutsche Schulsystem gegenübergestellt. In Finnland lernen alle Schüler bis zur zehnten Klasse zusammen, sie können ihre Prüfungen zigmal wiederholen oder auch vorziehen, Fächer austauschen. Sie sind viel freier. Auf der einen Seite finde ich das richtig klasse, das ist wirklich individuelles Lernen. Auf der anderen Seite kann ich das als Einzelne mit 28 Schülern gar nicht leisten. Da geht man kaputt. Ja, wenn zwei Lehrer in einer Klasse wären und im Team arbeiten würden, oder wenn ich lediglich die Hälfte der Schüler hätte, dann würde das auch funktionieren. Aber so wie die Bedingungen derzeit sind, ist es nur sehr eingeschränkt möglich.

Eine Soße für alle

Man macht also eine Soße für alle - die einen sind überfordert und die anderen unterfordert. Du erreichst immer nur die mittlere Schicht. Das ärgert mich, auch als Mutter: Meine ältere Tochter ist 13 und geht aufs Gymnasium, die jüngere ist 11 und geht noch in die Grundschule.

Ich bin froh, wenn mein Kind bald von dieser Schule runtergeht und ebenfalls aufs Gymnasium kommt. Ich habe nämlich den Eindruck, dass die schlechten Schüler die guten überdecken. Als Vertretungslehrerin unterrichte ich zwei vierte Klassen und eine fünfte Klasse. Die Namen der schwierigen Schüler habe ich mir zuerst gemerkt. Es kommt vor, dass einer während der Stunde aufsteht und seinem Kumpel eine reinhaut. Dann hat man erst mal ein Problem.

Ich habe immer gedacht, ich werde mit Schülern schon klarkommen. Ich habe nicht damit gerechnet, dass Arbeit einfach verweigert wird und Schüler sagen, ist mir egal. Ich bin kein Mäuschen, ich habe eine gerade Haltung, eine klare Sprache, spreche laut und deutlich und denke, dass ich ernst zu nehmen bin.

Es kommt aber vor, dass sich ein Schüler im Unterricht umdreht und sich mit dem Rücken zu mir setzt. Wenn ich ihn auffordere: "Dreh dich bitte um", heißt es: "Nö, mach ich nicht." Und dann steh ich da. Und die Klasse guckt zu. Ja, dann fange ich an zu rudern, ich fange an zu drohen und sage: "Ich schreibe das jetzt ins Klassenbuch." Man ist in diesem Moment auch so hilflos. Es sind solche Situationen, wo ich an meine Grenzen stoße und denke: "Was machen die hier mit dir?"

In einer Klasse gibt es ständig solchen Stress, und das zerrt schon an den Nerven. Ich habe mir ja einen Kopf gemacht, wie ich den Unterricht gestalte. Und wenn der massiv gestört wird, ist das frustrierend. Es sind vor allem die Jungen, die sich aufspielen. Mädchen quatschen, aber das ist auch das Einzige. Da gibt es keine Arbeitsverweigerung, kein "Nö, das interessiert mich nicht".

Wie man mit solchen Verhaltensweisen umgeht, habe ich während des Studiums nicht gelernt. Dabei müsste man das wirklich üben, in Rollenspielen etwa. Das müsste ein Pflichtfach sein, denn das begleitet deine Praxis.

Hilfe von der Rektorin

Die Rektorin ist sehr offen und hilfsbereit. Sie stärkt mir den Rücken. Es gibt diverse Sanktionsmöglichkeiten, die mir zur Verfügung stehen und die mit ihr abgesprochen sind, bis hin zu der Maßnahme, dass ich Schüler ins Schulleiterzimmer schicke.

Das Komische ist: Wenn ich die Schüler einzeln herausnehme, sind sie ganz süß und verständnisvoll und sehen auch ein, was sie anrichten. Nur wenn sie in der Gruppe sind, dann drehen sie am Rad, um sich zu profilieren, um den Macker zu machen.

Wenn ich keine Vertretungsstunden habe, dann gucke ich in anderen Klassen zu, manchmal sogar in der Klasse, in der ich unterrichte. Ich schau mir den Stil anderer Lehrer an und guck mir dieses und jenes ab oder auch lieber nicht. Bei Kollegen, die schon sehr viele Jahre im Schuldienst sind, denke ich mitunter: "Diese Art von Unterricht - das geht ja gar nicht!"

Ich komme ja aus der Privatwirtschaft und bin von Anfang an der Meinung gewesen, dass Lehrer nach Leistung bezahlt werden sollten. Es müsste eine unabhängige Kontrollstelle geben, die immer - egal welcher Tag und welche Stunde ist - am Unterricht teilnehmen kann. Solche Stichproben müssen auch funktionieren, wenn Lehrer nicht perfekt vorbereitet sind. Auch Eltern sollten jederzeit hospitieren können.

Im Sommer wäre ich eigentlich mit dem Referendariat dran, weil ich ja schon drei Absagen bekommen habe. Die Rektorin hat gesagt, sie würde sich wünschen, dass ich das Referendariat in der Schule mache. Das wäre optimal. Ich hoffe, dass auch die Senatsverwaltung so flexibel ist. Die Vertretungsstelle, die ich zurzeit mache, wird jedoch nicht einmal auf das Referendariat angerechnet, weil ich nur 21 und nicht 28 Wochenstunden unterrichte. Das ärgert mich.

Für die Kinder wäre es sicher schön, wenn sie sich nicht schon wieder an eine neue Lehrkraft gewöhnen müssten. Mittlerweile sind sie mir auch richtig ans Herz gewachsen - selbst die mit den Macken.

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