Verteilungsforscher zu Gerechtigkeit: "Steuer auf Yachten und Schmuck"
Union und FDP verschärfen die soziale Spaltung, sagen die Verteilungsforscher Joachim Frick und Markus Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Deshalb fordern sie die Luxussteuer.
taz: Viele Bürger halten die Zustände in Deutschland für unsozial. Umfragen belegen immer wieder ein Gefühl zunehmender Ungerechtigkeit. Die neue Bundesregierung aus Union und FDP verspricht nun in ihrem Koalitionsvertrag ausdrücklich mehr "Zusammenhalt". Erfüllen Union und FDP bisher diese Hoffnung?
Markus Grabka: Nein, die Regierung hält ihr Versprechen nicht ein. Die beschlossene Steuerreform führt dazu, dass sich die Einkommen der armen und wohlhabenden Schichten weiter auseinanderentwickeln.
Der Ökonom Joachim Frick, Jahrgang 1962, und der Soziologe Markus Grabka, Jahrgang 1968, betreuen am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin das Sozio-oekonomische Panel. Diese Langzeiterhebung liefert seit 25 Jahren vielfältige Daten über die Lebensbedingungen der deutschen Bevölkerung. Befragt werden regelmäßig 20.000 Personen in 11.000 Haushalten.
Aber wieso? Höheres Kindergeld und mehr Kinderfreibetrag bedeuten doch, dass auch Menschen mit geringen Einkommen mehr Geld in der Tasche haben?
Grabka: Nicht unbedingt. Bei Hartz-IV-Empfängern kommt die Erhöhung des Kindergeldes ja oft gar nicht an, weil es mit dem Arbeitslosengeld II verrechnet wird. Die Wohlhabenden und Reichen dagegen profitieren eindeutig vom höheren Freibetrag - und zwar stärker als die Bezieher mittlerer Einkommen. Die Schere geht klar auseinander.
Sie beschreiben die Extreme bei Arm und Reich. Die Mehrheit, 70 Prozent der Bevölkerung, lebt aber dazwischen. Dort erreichen Kindergeld und Freibetrag die von der Regierung beabsichtigte Wirkung.
Joachim Frick: Es ist richtig, dass die Mehrheit der Mitte besser gestellt wird. Aber trotzdem erhalten Millionärskinder mehr als Mittelschichtskinder, und wirklich bedürftige Kinder werden kaum erreicht. Wer den sozialen Zusammenhalt stärken will, darf so etwas nicht tun.
Die Regierung will zusätzliche Krankenkassenbeiträge von den Versicherten erheben und eine neue private Vorsorge für die Pflege im Alter einführen. Wie wirkt das im Hinblick auf die Einkommen?
Frick: Auch damit wird die Verteilung ungleicher. Bezieher hoher Einkommen hätten Vorteile, weil sie jenseits der Beitragsbemessungsgrenze nicht mehr zusätzlich zahlen. Im Verhältnis zu ihren Einkommen fällt auch die neue private Vorsorge kaum ins Gewicht. Die kleinen Leute würden demgegenüber relativ betrachtet einen höheren Anteil ihres Einkommens in die Sozialversicherung einzahlen.
Von den Initiativen der neuen Regierung einmal abgesehen: Sind die verbreiteten Klagen über die zunehmende Ungerechtigkeit berechtigt?
Frick: Früher waren die sozialen Verhältnisse in Deutschland ähnlich ausgeglichen wie etwa in den Niederlanden und Frankreich. Seit 10 bis 15 Jahren nähern wir uns aber eher dem Zustand von liberalen Wohlfahrtsstaaten wie Großbritannien. Wohlgemerkt: Das liegt nicht nur an der Politik, sondern auch an gesellschaftlichen Veränderungen. Beispielsweise leben mehr Menschen alleine ohne Familie. Werden sie arbeitslos, fängt sie niemand auf. Auch das verschärft die Spaltung.
Können Sie die größeren Gegensätze mit Zahlen belegen?
Grabka: Unsere Daten zeigen: 2002 besaßen die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung 57 Prozent des gesamten Geld- und Sachvermögens im Lande. 2007 gehörten ihnen bereits mehr als 60 Prozent. Dabei bauten zudem nur die reichsten zehn Prozent ihren Anteil aus. Alle anderen Bevölkerungsgruppen verzeichneten keinen Zugewinn oder verloren sogar Vermögen.
Frick: Außerdem beobachten wir ein stärkeres Verharren in den extremen Einkommenspositionen: Wer reich ist, bleibt reich, und wer arm ist, bleibt arm. Die soziale Mobilität nimmt ab.
Das heißt, man hat weniger Chancen als etwa in den 1980er-Jahren, seine Lebenslage aus eigener Kraft zu verbessern?
Grabka: Ja, besonders wenn man arm ist. Das ist eine entscheidende Gerechtigkeitsfrage. Die Chancengleichheit lässt nach, die Möglichkeit des sozialen Aufstiegs schwindet.
Und woran liegt das?
Grabka: Unter anderem an der Entwicklung der Löhne. Die untersten zehn Prozent, also die Menschen mit den niedrigsten Verdiensten, haben zwischen 2000 und 2007 10 Prozent ihres Realeinkommens verloren. Hier bildet sich ab, dass der Niedriglohnsektor gewachsen ist. Die Einkommen der Mittelschicht stagnierten. Die obersten zehn Prozent dagegen legten um 15 Prozent zu.
Durch die Finanzkrise haben Millionäre und Milliardäre teilweise massive Verluste eingefahren. Quelle-Erbin Marlene Schickedanz oder die Familie Schaeffler sind keine Ausnahmen. Trägt die Krise dazu bei, die Ungleichheit zu verringern?
Grabka: Nein, diesen Eindruck teilen wir nicht. Zwischen Ende 2007 und Ende 2008 sind die Geldvermögen in Deutschland nach Aussagen der Bundesbank nur um 2,4 Prozent gesunken. Im Vergleich zur gesamten Summe der Brutto-Geldvermögen von 4,4 Billionen Euro ist das vernachlässigbar. Außerdem muss man wissen, dass die Vermögen zwischen 2002 und 2007 besonders stark gestiegen sind. Wir erleben jetzt ein leichtes Abbröckeln auf sehr hohem Niveau.
Frick: Anders bei der Mittelschicht. Wenn wegen der Wirtschaftskrise demnächst mehr Beschäftigte arbeitslos werden, sind diese gezwungen, zur Sicherung des Lebensstandards ihre Vermögen aufzuzehren. Nicht die Reichen, die auf die Erholung der Aktienkurse warten können, sondern die Normalbürger werden im Falle von Arbeitslosigkeit die eigentlichen Verlierer der Krise.
Ihrer Analyse zufolge steht nicht zuletzt die Mittelschicht unter Druck. Darauf reagieren Union und FDP, indem sie den sogenannten Mittelstandsbauch, die hohe Steuerprogression bei mittleren Einkommen, abflachen wollen. Findet das Ihren Beifall?
Frick: Es ist grundsätzlich richtig, die Mittelschicht zu entlasten. Aber man sollte nicht zu sehr auf die direkten Steuern schauen. Viel wichtiger wäre es, die Sozialabgaben zu senken, die die Arbeitskosten um 40 Prozent verteuern. Das wäre auch eine Maßnahme gegen die Arbeitslosigkeit.
Es kann für den Staat teuer werden, mehr sozialen Zusammenhalt zu stiften. Wenn man eine Gruppe entlasten will, muss man eine andere belasten. Woher soll das Geld kommen?
Frick: Wenn ich mir die Löcher in den öffentlichen Haushalten anschaue, so ist es unumgehbar, neben den Ausgaben auch die Möglichkeit von Steuererhöhungen zu prüfen, inklusive der Mehrwertsteuer.
Klaus Zimmermann, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, hält eine Mehrwertsteuer-Belastung mit 25 Prozent für erträglich, obwohl gerade die Bezieher niedriger Einkommen, die sämtliches verfügbare Geld sofort ausgeben, besonders davon betroffen wären.
Frick: Diese Forderung hat sicherlich geholfen, die notwendige Diskussion anzuregen. Wichtig ist aber auch ein zweiter Punkt: Es wäre redlich und nachvollziehbar, diejenigen jetzt zusätzlich zu belasten, die vor der Finanzkrise jahrelang von steigenden Einkommen und Vermögen profitierten.
Grabka: Damit sind wir bei den Steuern auf Vermögen und Gewinne. Die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Kapitalerträgen sind in den vergangenen Jahren überproportional gestiegen. Deshalb ist es für mich schwer nachvollziehbar, warum Kapitalgewinne gegenwärtig niedriger besteuert werden als Arbeitseinkommen.
Der Grund liegt in der Steuerflucht.
Frick: Nein, hier haben wir es schlicht mit erfolgreicher Lobbyarbeit und Klientelpolitik zu tun. Es ist absurd zu sagen: Wir haben Angst, dass das Kapital auswandert, deswegen besteuern wir es so gering. Andererseits brummen wir denen höhere Steuern auf, die nicht wegziehen können. Das ist kein sozialpolitisch tragfähiger Ansatz.
Grabka: Die Erbschaftsteuer liegt in Deutschland im internationalen Vergleich sehr niedrig. Ähnlich sieht es bei der Grundsteuer auf Immobilien aus. Problemlos könnte man auch eine Luxussteuer auf teure Häuser, Autos, Yachten, Antiquitäten und Schmuck erheben.
Die Erträge aus solchen Nischensteuern dürften sich in Grenzen halten. Reicht das, um die soziale Spaltung zu verringern?
Grabka: Das würde ich nicht unterschätzen. Ein Stück Umverteilung ist notwendig. Es geht nicht darum, das Leistungsprinzip auszuhebeln. Aber Arbeitslosigkeit, niedrige Einkommen und die Abwesenheit von Vermögen können dazu führen, dass die Betroffenen über Generationen nicht aus der Armut herauskommen. Wir fordern ja nicht Umverteilung um ihrer selbst willen: Der Staat muss aber mehr Geld einsetzen, um soziale Mobilität, Chancengleichheit und Bildung zu fördern.
Frick: Ein dauerhaftes Abkoppeln der unteren Einkommensschichten kommt die Gesellschaft letztlich noch teurer zu stehen. Ein Schritt zu besserer Chancengerechtigkeit könnte sein, die geplante Erhöhung des Kindergeldes in Höhe von 20 Euro in echte Bildungsinvestitionen umzuleiten, zum Beispiel in den Ausbau der Ganztagsbetreuung oder in ein anständiges Mittagessen in der Schule für alle Kinder.
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