piwik no script img

Versuch einer Wiederbelebung

Internationale Architektur für die Friedrichstadtpassage  ■  Von Martin Kieren

Der Umbau der Friedrichstraße in der Stadtmitte Berlins hat begonnen. Diese Straße wird gemeinhin, neben der Straße Unter den Linden und der Leipziger Straße, als das Herzstück des alten Berlin bezeichnet und ist schon des öfteren kaputtmythologisiert worden. Die Köpfe der Literaten und Flaneure rauschen bei der Nennung des Namens der Straße ebenso wie die der Bauhistoriker und Stadtplaner. Dabei hat sie sich schon immer einer Vielfalt von Besitzergreifungen erwehren müssen: Die Friedrichstraße ist vor allem ein Mythos der güldenen 20er Jahre mit ihren unendlichen Verkehrs- und Fußgängerflüssen, mit dem Bahnhof gleichen Namens und seiner Überquerung, mit der Kaisergalerie und dem Café Bauer, mit der Kreuzung zu jener Leipziger Straße, die eher war, was man heute der Friedrichstraße für diese Zeit zuschreibt, nämlich die Geschäfts- und Einkaufsstraße der City schlechthin.

Im Süden lag der mittlerweile zerstörte Belle-Alliance-Platz, der heute „Mehringplatz“ heißt. Hier endet die Friedrichstraße in einer Sackgasse. Denn seit den 50er Jahren hat in beiden Stadthälften ein rigoroser Umbau dieser Straße begonnen, stockend zwar, aber doch... Die Planungen und Ausführungen sind Legende, an ihnen wird weitergestrickt.

Mythos Passage

Zwischen der Straße Unter den Linden und der Friedrichstraße lag die Kaisergalerie, die erste Berliner Passage, entworfen und gebaut von dem Berliner Architekturunternehmen Kyllmann & Heyden und 1873 eingeweiht. Die Geschichte der Passagenbauten ist mindestens ebenso legendär wie die der Friedrichstraße – aber sie begann in Paris, nicht in Berlin, wo sie eine singuläre Erscheinung blieb. Den letzten Versuch, diesen Bautyp des 19. Jahrhunderts auch hier anzusiedeln, unternahm 1909 eine weitere Passage in Nachbarschaft der ersten, nunmehr zwischen Friedrichstraße und Oranienburger Straße gelegen. Beide überlebten Krieg und Nachkriegsplanungen nicht. Drei große Investorengruppen versuchen nun, in der Friedrichstraße diese Tradition fortzusetzen: mit den sogenannten „Friedrichstadtpassagen“ westlich des Gendarmenmarktes.

„Gendarmenmarkt“: wieder ein Name, der für einen Mythos steht. „Schönster Platz Europas“ und natürlich Schinckels Schauspielhaus, Inbegriff des Deutschen Klassizismus; aber auch Literaten- und Philosophenpotpourri durch zwei Jahrhunderte – wer hier nicht alles wohnte... Diese drei Investorengruppen („Tishman Speyer Properties“, „Arc Union und Bouygues“, „Immobilien Deutschland“ und „EP Euro-Projektentwicklungsgesellschft GmbH & Co“) bauen – strukturgerecht drei große Blöcke, die mit- und untereinander passagenartig verbunden und vernetzt sind und als gigantische Geschäfts-, Laden-, Büro- und Wohnanlage das Zentrum des alten Berlin wiederbeleben sollen.

Als Architekten wurden nach beschränkten Wettbewerbsverfahren 1991 ausgewählt: Oswald Mathias Ungers (BRD), Henry N. Cobb (USA) und Jean Nouvel (Frankreich). Mit diesen Namen ist das Projekt abgesteckt, hinter ihnen verbergen sich die Architekturen, mit denen wir ab 1995 konfrontiert sein werden.

Ungers kontra Schinkel

Die Struktur des Stadtgrundrisses ist an diesem Ort ebenso vorgegeben wie die Blockgröße und die „Plusminus-Berlin-Traufhöhe-22- Meter“. Damit sind architektonisch-städtebaulich aber erst einmal nur die Massen, damit ist erst der umbaute Raum, also die ungefähre Kubatur beschrieben. Nur der von Ungers geplante Block erstreckt sich direkt bis zum Gendarmenmarkt. Da er diesen prominenten Raum an dieser Stelle neu faßt und und abschließt, hat dieser Bau mit der Qualität, den Proportionen, den architektonischen Aufrissen und Ausformulierungen der Wand-, Fenster- und Dachflächen der hier versammelten Bauten zu tun. Wir dürfen vermuten, daß es sich der Architekt, ein erklärter Verehrer Schinkels, diesmal besonders schwer gemacht hat.

Natürlich hat man dieses Reagieren, Interpretieren und Transformieren von vorgefundenen Strukturen und Proportionen auch bei den anderen beiden Architekten erwartet. Das Ergebnis ist aber eher zwiespältig, soweit es sich aus dem vorliegenden Material ersehen läßt. Ungers dagegen reagiert gekonnt-gelassen; er löst die Großform des Blockes nicht einmal auf, schafft sechs Häuser, die so miteinander verbunden sind, daß man bei genauem Studium merkt: Es ist eben doch ein großes Haus. Aber das macht nichts, das Ergebnis hat seine Raffinesse. Durch diese Anwendung seiner ewig wiederholten Variationen mit dem Quadrat trifft Ungers diesmal das Richtige. Hier liegt das Einfachste mal wirklich auf der Hand, hier ist das naheliegendste Ergebnis gut plaziert. An allen vier Blockkanten ergibt nämlich dieses Rücken von quadratischen Klötzen einen vertikalen Rhythmus – aufgestellte Proportionen –, wie sie in der Friedrichstadt seit jeher das Straßenbild bestimmen und somit nebenher auch Schinkelscher Tradition folgen. Und auch die Formulierung der Proportionen innerhalb seiner Wandscheiben – wieder das Spiel mit dem Quadrat, es hat etwas sympathisch Rührendes – hat in diesem Kontext alles Vorlaute und „Alles-neu-erfinden-wollen-um- jeden-Preis“ beiseite gelassen.

Ungers zeigt sich ebenso gelassen bei der Präsentation dessen, was er meint: Er zeichnet und zeigt eine Perspektive, die am linken Rand den Deutschen Dom und am rechten Rand das Schinkelsche Schauspielhaus in sein Proportionsspiel einbezieht. – Und erst jetzt markt man, daß wahrscheinlich gar kein besserer Ort für das gefunden werden konnte, was Ungers seit Jahren meint, wenn er in Berlin baut. Die Ergebnisse waren nicht immer glücklich, zum Beispiel am Lützowplatz oder die Ecke Schillerstraße/Kaiser-Friedrichstraße. Doch in der städtischen Enge und Schinkelscher Umgebung erst entfaltet sich der Sinn einer streng kompositorischen Prinzipien folgenden Durcharbeitung einer Großform: Es muß eben kein Kontext neu hergestellt, aber auch nicht neu definiert werden.

Farblich unterstützt Ungers die Auflösung und Rücknahme der Großform, indem er die vorspringenden Teile mit hellem und die dahinterliegenden Bauteile mit rotem Naturstein verkleidet – es entsteht insgesamt ein den Blick zurücknehmendes Schatten-, Farb- und Materialspiel. Das Ganze ist als sympathische Kippfigur immer zwischen Warenhaus (das auch Schinkel in der Nähe plante),

Fortsetzung nächste Seite

Fortsetzung

großstädtischem Wohnhaus und Berliner Industrie-Architektur geplant: von allem etwas, aber vom Feinsten, weil Vornehmsten und Ruhigsten. Nur in den unteren beiden Geschäfts- und Ladengeschossen und vor allem bei den Eingangsbereichen könnte ein bißchen mehr Pfeffer, Witz, Mut und Gestaltungswille erkennbar werden – man meint sonst, man gehe in ein Postscheckamt oder zu C&A.

Das Hybride

Am anderen Ende der Dreierreihe hat Jean Nouvel beplant, der neben Dominique Perrault zu den zur Zeit exklusivsten Vertretern der jungen Generation von französischen Architekten zählt. Und war und ist nicht anzunehmen, daß er etwas anderes tut, als eben mal zu zeigen, daß Architektur aufregend sein kann? Diese Art Aufregung aber schlittert immer am Rande der hypernervösen Übersteigerung entlang – sie läuft Gefahr, in dieser zu verharren, eben aufgeregte Geste zu bleiben. Alles wird hier aufgefahren: absolute Technik, städtischer Glamour eines neuen Zeitalters von Information und Zeichen und Sucht nach Form, die diese auszudrücken versucht; dazu: Animation, Feuer und Stolz des Franzosen, der in Paris mit seinem „Institut du Monde Arabe“ eine Vorgabe für metropole Baukunst vorgelegt hat, die erst einmal erreicht sein will.

Es ist dieses Wollen, das bei Nouvel im Vordergrund steht. Sein Bau ist eine filigrane Glashaut, hinter und unter der sich all das verbirgt, was an Funktion und Konstruktion Bedeutung für die Architektur hat. Seine Grund-Idee entwirft Glaskegel, die durch den Baukörper gesteckt sind: mal spitz, mal stumpf, mal mit der Spitze nach unten, mal nach oben. In der Mitte ein großer Glaskegel, der im Gebäudeinneren ein großes Prisma schafft. Der Projektleiter Noel Dain, ein ironischer und sympathischer Dubliner, verdreht die Augen und zuckt mit den Achseln, wenn er das Prinzip und die Schwierigkeiten, die mit diesem Bau verbunden sind, erläutert.

Hier also kurz, um einmal etwas Technisches, etwas Konstruktives, mit dem solche Architektur verbunden ist, zu zeigen: Der innere Glaskegel bewirkt, daß das Gebäude fast nur am Rand aufliegt. Statisch drücken auf diese Ränder solche Lasten, daß folgende Maßnahme notwendig wird: Baugrube zwanzig Mater unter Niveau Friedrichstraße ausheben und eine zwei Meter dicke Betonplatte gerissen; in der Mitte, also auf der Kreisfläche des hohlen Kegels wird diese Platte im Grund verankert, und zwar in fünfzig Meter Tiefe. Bei 40 Meter etwa beginnt unter dem märkischen Sand ein Braunkohlestreifen, einige Meter in diesen hinein also werden die Anker getrieben. Noel Dain schaut aus dem Fenster auf das Loch, in die bisher etwa acht Meter tiefe Grube – ein Lächeln von Joyce, von Flann O'Brian. Starker Tobak das.

Das Nervöse, das Unruhig- Hybride ist die Talk-Glas-Fassade, die sich später zweischalig über diese unsichtbare Konstruktion spannt: Es werden verschiedene Glasmusterkörnungen benutzt, die jeweils die innen liegenden Kegel auf ihrer Haut mittels dieser unterschiedlichen Körnung als Projektion wiedergeben. Diese Körnung wird durch ein Silbersiebdruckverfahren erzielt, mit dessen Entwicklung verschiedene europäische Firmen beschäftigt werden. Durch diese Glashaut hindurch sind die Kegel selbst zu sehen und natürlich werden sich die umliegenden Bauten ebenfalls in dieser Haut spiegeln, so daß ein unruhiges Wechselspiel von Glas- und Spiegeleffekten entstehen wird. – Na wenn das mal gutgeht, möchte man sagen, angesichts dieser Kegelei.

Die Motivation zu dieser Konzeption verrät ein Text aus der Hand des Meisters: „Geometrie und Licht schaffen eine Architektur in unendlichen Variationen... Die zwei großen Kegel sind Faszinationsobjekte, auf deren Oberfläche Nachrichten und Bilder vorbeilaufen. Der größte dieser Kegel zuckt, vibriert, blitzt durch Farbstrahlen und Farbbündel. Zünden wir eines der ersten Renaissancelichter der Friedrichstraße an!“ Das klingt ein wenig nach den aufgeregten Manifesten von Marinetti bis Coop-Himmelblau, nach infantilem Übermut, nach Stilisierung: Der Meister schiebt eben immer diese Zigarre vor, dieses Portrait von ihm, das ihn als dionysischen Macho zeigt, aber er erinnert in dieser Pose bloß an Klaus Löwitsch. Gute Architektur hat das nicht nötig.

Gleichsam um das Ende der Friedrichstadtpassagen anzuzeigen, wird die Ecke Französische Straße/Friedrichstraße halbkreisförmig formuliert, was für die Straßenecken der Friedrichstadt eher untypisch ist, als Typ aber auch nicht neu: Das muß jeweils neu probiert und gut gehandhabt werden, das kann nicht jeder, wir haben das Ergebnis abzuwarten.

Alles normal

Am Unaufregendsten ist der von diesen beiden Blöcken gefaßte Mittelblock des Architekten Henry N. Cobb im Büro von Pei, Cobb, Freed & Partners, New York. Unaufregend – aber trotzdem aufgeregt. Die Herren dort im fernen New York bringen ihrerseits ein wenig zuviel an Unruhe hierher: „Auf der Suche nach einer neuen Strategie sind wir davon ausgegangen, daß es dem Wesen des städtebaulichen Rasters entspricht, die Straßenwand als Sequenz wahrzunehmen. Die Bebauung wird als Abfolge gleichzeitig wahrgenommen, eher schräg denn frontal. Das Erlebnis des Nacheinanders kann gesteigert werden, wenn einzelne Bauten im Block eine visuelle Verdichtung erzeugen. Unser Entwurf belebt die Friedrichstraße durch einen großen kommerziellen Bau.“ Soweit die Verlautbarung aus New York zur Baukunst der 90er Jahre in Berlin, nicht neu, nicht originell – und die avisierte Verdichtung ist eine Amalgamierung von verschiedenen Materialien, Farben und Proportionierungen innerhalb von Wand- und Öffnungs-System. Auch hier heißt die Devise: ängstliches Abwarten und Hoffen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen