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Verstorbener Filmkünstler Harun Farocki„Es sollten andere weitermachen“

Antje Ehmann und Harun Farocki haben weltweit Filme zum Thema Arbeit gesammelt. Ein Gespräch über Globalisierung, Überraschungen und Ratten.

Der verstorbene Farocki vor einer früheren Ausstellung. Bild: dpa
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

Im Januar kamen Antje Ehmann und Harun Farocki in die taz, für ein Interview über ihr Projekt „Eine Einstellung zur Arbeit“, das das Paar seit 2011 beschäftigte. Es war ein Gespräch in zwei Teilen. Nach einer halben Stunde wurde das Zimmer, in das wir uns zurückgezogen hatten, um ungestört zu sein, in Beschlag genommen. Wir zogen in den Redaktionsraum um. Eine Pause entstand. Antje Ehmann rauchte vor der Tür. Für das Interview gab es keinen drängenden, journalistisch zwingenden Anlass. Im August sei in Essen eine Ausstellung des Projekts geplant, sagte Farocki. „Oder du wartest mit der Veröffentlichung bis 2015, wenn es eine große Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt in Berlin geben wird.“ Es war ein Gespräch auf Vorrat, im selbstverständlichen Vertrauen, dass es diese Zukunft geben wird. Am 30. Juli ist Harun Farocki, 70 Jahre alt, gestorben.

taz: Herr Farocki, Frau Ehmann, „Eine Einstellung zur Arbeit“ enthält kurze Filme über Arbeit, von Rio bis Hanoi, allesamt ohne Schnitt. Welche Rolle spielen Sie bei diesem Projekt – nicht Autor, sondern Sammler?

Harun Farocki: Wir sind Produzenten. Wir veranstalten Workshops und schlagen Ideen vor – manchmal mit, manchmal ohne, manchmal mit gegenteiliger Wirkung. Das Prinzip ist: Was die Autoren abliefern, kommt auf die Website. Wir machen keine Qualitätsprüfung.

Antje Ehmann: Das ist nur bei den Ausstellungen wie in Essen anders. Dafür wählen wir die besten Filme aus.

Sind die AutorInnen Amateure oder Profis?

Ehmann: Alles vermischt. Es gibt Arrivierte und Neulinge. Das Gros sind Filmstudenten oder Leute mit TV-Erfahrung.

Haben Sie Filme überrascht?

Farocki: Es gibt Miniaturen, auf die man konzeptuell nicht kommen würde. In Ägypten gibt es eine Szene: Zwei Leute werfen sich Sechserpacks von Colaflaschen zu, die in einen Keller transportiert werden. Einer macht einen Scherz und lässt die Flaschen nicht los, in dem Moment hört man den Ruf des Muezzins. Das ist nicht geplant.

Im Interview: Harun Farocki

Filmemacher, Videokünstler, Dozent, Autor, Kurator, geboren am 9. Januar 1944 in Novy Jicin, gestorben am 30. Juli 2014 nahe Berlin. Filme und Videoarbeiten (Auswahl): „Nicht löschbares Feuer“ (1968), „Zwischen zwei Kriegen“ (1978), „Etwas wird sichtbar“ (1981), „Videogramme einer Revolution“ (1991), „Der Schöpfer der Einkaufswelten“ (2001), „Nicht ohne Risiko“ (2004), „Serious Games“ (2009/2010) und „Ein neues Produkt“ (2012).

Ein anderes Beispiel?

Farocki: Ein Film aus Vietnam folgt einer Frau, die mit der Hand mühsam Reis aufsammelt, wie in einem Film über den Vietcong vor vierzig Jahren. Am Ende sieht man über ihr eine gewaltige, neue Brücke – und so das Nebeneinander von Hightech und Primitivem in einem Bild. Oder eine Frau, die in Vietnam kleine Bündel von Gewürzen verkauft, in einem Gewimmel von Motorrollern. Wenn man alle Filme zusammen nimmt, gewinnt man den Eindruck: Es herrscht global das Ideal der westlichen, konsumistischen Lebensform. Aber daneben gibt es eine ungeheure Vielfalt. Von Kleidung, Lebensweisen, Arbeitsformen. Manchmal ist das in einem Bild erkennbar.

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Will dieses Projekt zeigen, was sonst ausgeblendet wird, früher hätte man gesagt: Gegenöffentlichkeit schaffen?

Farocki: Ja, es wird ja noch immer viel mehr Energie darauf verwendet, in Filmen Liebe, Produkte oder Kriminalität zu zeigen. Arbeit ist randständig.

Im Interview: Antje Ehmann

Kuratorin, Autorin und Künstlerin, geboren 1968 in Gelsenkirchen. Von 1995 bis 1999 gehörte sie zum Team der Duisburger Filmwoche, von 1999 bis 2003 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Projekt „Geschichte des dokumentarischen Films 1895 bis 1945“. Für die Wiener Generali Foundation hat sie 2006 die Ausstellung „Kino wie noch nie“ kuratiert (mit Harun Farocki), 2010 im US-amerikanischen Cambridge „The Image in Question. War - Media - Art“ (mit Stuart Comer und Kodo Eshun).

Ehmann: Dazu kommt, dass dies ein globales Projekt ist. Wir hätten zeigen können, was die Leute in ihrer Freizeit tun. Doch Arbeit erzählt mehr von der sozialen Beschaffenheit einer Gesellschaft. Arbeit ist zentral.

Das Projekt erinnert an die Videobewegung in den 80er Jahren, an den Traum, das jedermann Bilder seines Alltags herstellen kann und die Bilder demokratisiert werden. Ist das eine Referenz?

Farocki: So nicht. Die Autoren arbeiten ja nicht in den Betrieben, sie kommen von außen dorthin.

Ehmann: Heutzutage kann jeder mit seinem Handy Filme machen. Das Problem ist die Fülle und Beliebigkeit der Bilder. Wir wollten dem mit Beschränkung entgegenwirken. Deshalb gibt es nur eine Einstellung, die höchstens zwei Minuten lang sein darf. Da kann man nicht einfach draufhalten.

Ist die Erwartung, konzeptuell durchdachte Filme über Arbeit zu bekommen, erfüllt worden?

Ehmann: Ja. Wir haben bislang zwölf Workshops gemacht. Ich habe mich nie gelangweilt. Es ist erstaunlich, dass es trotz unseres rigiden Ansatzes eine solche Vielfalt von Bildern gibt.

Farocki: In der Beschränkung gibt es einen Reichtum. Wie viel man mit einem Schwenk erzählen kann, zeigt ein Film aus Vietnam. Man sieht ein etwa vierjähriges Mädchen, das konzentriert einen Hut näht. Daneben ihre etwa dreizehnjährige Schwester, daneben ihre Eltern. Alle nähen Hüte. Die Kamera schwenkt von einer Person zur nächsten und erzählt so eine möglich Zukunft des Mädchens.

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Haben die AutorInnen von Rio bis Moskau nach typischen Arbeitsszenen gesucht, die ihr Milieu oder ihr Land repräsentieren? Nach Hitchcocks Motto, dass man, um Paris zu zeigen, den Eifelturm ins Bild rücken muss?

Farocki: Nicht wie Hitchcock. Aber man sieht manchmal Kennzeichnendes. Zum Beispiel eine Textilfirma in Rio. Die Frauen bleiben vor dem Werksausgang stehen und reden miteinander. Das ist die Ausnahme. Sonst strömen alle so schnell wie möglich fort. Man sieht, dass auch Dickere ein körperliches Selbstbewusstsein ausstrahlen, das sonst selten ist. Und dass Näherinnen auch nach acht Stunden harter Arbeit sexy aussehen wollen. Das zu zeigen, ist kein Stereotyp. In manchen Bildern in Lodz wirken die Räume viel zu groß für das, was hergestellt wird. Das ist ein Hinweis darauf, dass dort mal riesige Textilindustrien waren, die stillgelegt wurden. Das zu zeigen, ist nicht der Eifelturm.

In „Arbeiter verlassen die Fabrik“ haben Sie das erste bewegte dokumentarische Bild gezeigt: 1895 strömen Arbeiter aus der Fabrik der Gebrüder Lumière. Die Anzahl der Arbeiter sollte den Reichtum der Firma symbolisieren. Gibt es 2014 vergleichbare Bilder?

Farocki: Heute würde niemand mehr – wie noch in den 50er Jahren VW oder Siemens – in einem Imagefilm Massen von Arbeitern zeigen, um damit zu illustrieren, wie viele Beschäftigte man hat. 2014 zeigt niemand Arbeiter oder Produktion, wenn dann computergeneriert. Fehlbare Menschen am Fließband gelten nicht als vertrauensfördernd.

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Ist das auch in der Dritten Welt so?

Farocki: Gerade dort. Firmen wie H&M würden nie Frauen in Asien zeigen, die die Textilfabriken verlassen und wahrscheinlich kontrolliert werden, ob sie ein Hemd haben mitgehen lassen. Solche Unternehmen geben Geld aus, um zu verbergen, wo ihre Waren produziert werden.

Gibt es noch Bilder von Arbeitern als Kollektiv, so wie wir sie aus dem Industriekapitalismus kennen?

Ehmann: Eigentlich nicht. Ein Ausnahme ist eine Canon-Fabrik in Vietnam, wo 2.000 Frauen arbeiten, die in Schüben das Werk betreten und es wieder verlassen. Ansonsten haben Drehtüren oft die Werkstore ersetzt, es gibt gleitende Arbeitszeiten und daher kaum noch Massenansammlungen. Lustig ist ein Bild, das eine Straße in Kairo zeigt, scheinbar mit Passanten. Die meisten haben eine Zeitung unter dem Arm. Das sind Mitarbeiter der Zeitung al-Ahram nach der Arbeit.

Farocki: Die hat 5.000 Redakteure. Ein paar mehr als die taz.

Welche Bilder konnten nicht gedreht werden?

Farocki: Es gibt einen wunderbaren Film aus Bangalore: Eine Katze schaut einem Schlachter zu, der Ziegenköpfe skalpiert. Es wäre besser, wenn man auch sehen würde, wie viele Schlachter in diesem Raum arbeiten. Die Autorin hat das versucht – flog aber in genau dem Moment raus. Weil zu viele Ratten ins Bild kamen.

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Ehmann: Die Beschränkung, in Produktionstätten zu filmen, führen zu bizarren Verzerrungen. Bangalore ist die Stadt mit der größten IT-Industrie in Indien. Die Filme zeigen aber nur den öffentlichen Raum, Tattoo-Shops oder Kellner. Kein Callcenter, nichts von der IT-Branche.

Warum?

Farocki: Es ist kompliziert, für Betriebe Drehgenehmigungen zu erhalten. Es gibt zwar Bilder aus einem Stahlwerk in Buenos Aires und aus einer Textilfabrik in Rio. Aber auch das aus Zufall, der Besitzer des Stahlwerks in Rio ist Kunstsammler und Förderer des Museums, mit dem wir zusammengearbeitet haben. Deshalb hatten wir eine carte blanche für das Stahlwerk.

Was fehlt in den Filmen?

Die Ausstellung

„Eine Einstellung zur Arbeit“. Museum Folkwang, Essen, 16. August bis 28. September

Farocki: Die neuen Berufe. Das Beratungsgewerbe, das Management. Oder Institute, die sich den Kopf über Großraumbüros zerbrechen und ob Mitarbeiter produktiver sind, wenn sie sitzen oder stehen.

Wem gehören die Filme?

Ehmann: Den Autoren. Wir haben keine Rechte daran.

Wann ist das Projekt beendet?

Ehmann: Am besten gar nicht. Es hat etwas von einer Enzyklopädie. Eigentlich ist es auf Unendlichkeit angelegt. Wenn wir aufhören, sollten andere weitermachen. Das wäre gut.

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1 Kommentar

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  • 5G
    5393 (Profil gelöscht)

    es fällt auf, dass viele der Filme, die mehrere Einstellungen haben, ähnlich denen von Richard Serra aus den 60ies sind, es ist das alles künstlerisch angehaucht, Arbeit bekommt dadurch was Sublimes - die meisten Filme mit einer Einstellung ergeben eine Dreifaltung der Zeit: Arbeit - Arbeitsende - nach der Arbeit - ein Triptychon - es ist auch das was Sublimes und das fehlt bspw. völlig in den RTL real life docus - der ästhetische Kontrast ist riesig und auch zu den Filmen, auf denen Firmen ihre Wichtigkeit zeigen, da findet sich keine Dreifaltung der Zeit, sondern es kulminiert auf einen Punkt, die Wichtigkeit des Betriebs, was gar nichts Sublimes hat

     

    wie auch immer es Farocki und Antje Ehmann geschafft haben, die Filme haben oder folgen quasi alle einer linken Ästhetik und eben auch nicht Gewerkschaftsäthetiken, die nichts andres sind als die andere Seite der Arbeitgeberästhetik im Aufbauen von Macht, da ist nichts Sublimes