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Verstaubter Torpedo

■ Zwei Platten mit Grunge

Wir wollen mächtig, dick und fett klingen. Angsteinflößend und krachig, ungefähr so wie ein Torpedo, der in einen Schiffsrumpf einschlägt.“ Der das sagt, heißt Tad Doyle, wiegt fast seine drei Zentner, war früher Metzger, läßt sich für Promo-Fotos inmitten seiner Band samt Kettensäge ablichten und nennt seine Gitarre den „50lb. Sledgehammer“. In die Auslaufrille seiner ersten Single war „Sharp knifes make the butcher sing“ eingeritzt. Das alles wäre noch nichts Besonderes in einem Geschäft, für das auch immer das Image relevant ist. Bei Freund Tad ist schon eher interessant, daß seine Musik tatsächlich so klingt, wie es das Image suggerieren soll, auch wenn er, wie fast alle „Grunge„-Bands, immer darauf besteht, daß das alles nur Posing ist. Schlagzeug und Baß produzieren ein dumpfes, verschlepptes Wummern, die Gitarren kreischen jenseits der Schmerzgrenze, und Tad schreit wie ein von ihm selbst abgestochenes Schwein.

Tad war einer der ersten Protagonisten des sogenannten Grunge-Rocks, ein diffuser Begriff, der letztes Jahr auftauchte und von der Musikpresse freudig aufgenommen wurde. Grunge zeichnet sich vor allem durch den oben beschriebenen, leicht angestaubt klingenden Sound aus, der sich so angenehm von den allgemein glatten Produktionen der letzten Zeit abhob, die selbst Hardcore-Bands teilweise völlig zahnlos klingen läßt.

Fast alle Grunge-Bands kommen aus Washington, dem Staat im äußersten Nordwesten der USA, und werden auf dem dort in Seattle ansässigen Sub-Pop-Label verlegt. In Europa wird Sub Pop von Glitterhouse, der rührigen Independent-Firma aus der norddeutschen Tiefebene, lizensiert. Die neueste Tad-EP Salt Lick führt den Grunge in letzter Konsequenz zu seiner extremsten Ausformung. Die sechs Stücke sind eher ein Splatter-Movie als Musik und wären bestens geeignet, einen Soundtrack für Texas Chainswa Massacre zu liefern.

Die andere, leichter verdaulichere Seite von Grunge repräsentieren die Screaming Trees, bei denen das Brüderpaar Van und Gary Lee Conner, die bei Grunge-Rockern anscheinend unabdingbare Leibesfülle auf die Waage bringen.

Die neue Doppelsingle der Screaming Trees kommt auf Glitterhouse als EP mit dem Titel Change Has Come und einem zusätzlichen, fünften Stück heraus. Grunge ist hier vor allem der schleppende Rhythmus und der verstaubte Sound, aber die Songs sind wirkliche Songs, und Sänger Mark Lanegan singt auch tatsächlich. Es gibt drei Uptempo-Nummern (bei einer hat sich sogar eine Trompete eingeschlichen) und zwei Balladen. Über der ganzen Platte scheint eine dicke Schicht aus Spinnweben zu liegen, die den Songs erst ihren fast schon barock anmutenden Reiz gibt. Und fürs Poesiealbum gibt es wieder eine Zeile zum Merken: „A change has come / And you can hide in the ashes.“ Definitiv die Platte für den Melancholiker wie dich und mich.

Thomas Winkler

Screaming Trees: Change Has Come. EP, Glitterhouse, EfA

Tad: Salt Lick. EP, Glitterhouse, EfA

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