Versorgung von Menschen mit Behinderung: Fachexpertise Fehlanzeige
Das neue Bremer Behandlungszentrum für Erwachsene mit Behinderungen soll die Versorgung verbessern. Doch seit Wochen fällt die Leitung aus.
Die ärztliche Leitung sei „seit einigen Wochen erkrankt“, sagt Karen Matiszick, Sprecherin des kommunalen Klinikverbundes Gesundheit Nord (Geno). Am Klinikum Mitte, einem der Häuser der Geno, ist das MZEB angesiedelt. Zudem sei fast das gesamte Team im Spätsommer an Corona erkrankt; Termine seien in dieser Zeit verschoben oder abgesagt worden. „Das hat verständlicherweise zu Unmut geführt.“
Für den anhaltenden Engpass aufgrund der fehlenden Ärztin suche man „intensiv nach einer Lösung“. Jemanden mit so speziellen Qualifikationen auf dem Arbeitsmarkt zu finden, sei schwierig. Ein weiterer Arzt ist noch im Team, ein Neurologe. Daneben eine Psychologin, eine Physiotherapeutin, eine Ergotherapeutin und eine Logopädin sowie eine speziell weitergebildete Krankenschwester.
Derzeit würden insgesamt 44 Patient*innen betreut. „Sollten deutlich mehr kommen, muss man sich anschauen, ob man weiter aufstockt“, sagt Matiszick. Der Start des MZEB sei zwar „holprig“ gewesen, aber jetzt seien alle Räume voll ausgestattet. Aktuell könne man den Bedarf gut decken.
Ilona Schmidt, Jugendgemeinschaftswerk
Den Eindruck hat Arne Frankenstein nicht. Ihm würden Betroffene, ihre Betreuer*innen oder Einrichtungen berichten, dass neue Patient*innen aktuell keine Termine mehr bekommen. Und das sei ein Problem: „Menschen mit einer geistigen oder schweren mehrfachen Behinderung im Erwachsenenalter begegnen im gesundheitlichen Versorgungssystem in Bremen so immensen Barrieren, dass diese oft nicht bedarfsgerecht und mitunter überhaupt nicht behandelt werden.“
Frankenstein fordert eine kurzfristige personelle Aufstockung, eine Sicherstellung der psychosozialen Betreuung und eine bessere „räumliche sowie apparative“ Ausstattung. „Alle Punkte sind nach über einem Jahr der Inbetriebnahme nach meinem Kenntnisstand nicht erfüllt.“
Ilona Schmidt arbeitet beim Jugendgemeinschaftswerk Bremen und leitet dort eine Tagesförderstätte für 87 Erwachsene mit zum Teil schwersten Mehrfachbeeinträchtigungen. „Wir kriegen Signale, dass die Zukunft des MZEB unklar ist“, sagt sie. Dabei leiste das MZEB gute Arbeit. „Wir durften bereits erleben, dass ein interdisziplinäres Team auch ins Haus kommt, wenn es für die Betroffenen nur unter größter psychischer Kraftanstrengung möglich ist, zur Untersuchung in die Klinik zu fahren.“
Vorher habe es häufig eine „Versorgungslücke“ gegeben, sagt Schmidt. In der Regel mussten Hilfesuchende zu verschiedenen Fachärzt*innen, was sich trotz akuten Leidensdrucks über einen langen Zeitraum hinziehen könne. Verschiedene Anlaufstellen seien die Hausärzt*in, dann vielleicht die Neurolog*in, Orthopäd*in, Psychiater*in. „Wir erleben aufgrund der zu beobachtenden Verhaltensauffälligkeiten dann wiederholt eine Einstellung mit Psychopharmaka, die sich in der Praxis als kontraproduktiv erweist“, sagt Schmidt.
Wartezeit zwei Monate
Laut dem Geschäftsführer des Jugendgemeinschaftswerks, Jens Hartmann, beträgt die Wartezeit beim MZEB momentan um die zwei Monate. Der Martinsclub betreut in Bremen ebenfalls Menschen mit Behinderung. Vorstand Thomas Bretschneider sagt, auch hier sei es „kaum möglich“, Termine zu vereinbaren. „Wenn das MZEB wieder aufgelöst wird, haben die Menschen nichts mehr.“
Dicht machen will das MZEB niemand. Auch das Gesundheitsressort schließt das komplett aus. Aber die Entscheidung liegt letztlich bei der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Diese hatte eine sogenannte Ermächtigung für das MZEB erlassen, damit es überhaupt tätig werden konnte. Darin ist genau geregelt, welche Leistungen erbracht werden.
Trotzdem werde diese Ermächtigung bei der nächsten Sitzung des Zulassungsausschusses am 14. November auf der Tagesordnung stehen, sagt der Sprecher der KV Bremen – wohl außerplanmäßig, läuft doch die Ermächtigung, so heißt es aus dem Büro des Landesbehindertenbeauftragten, noch bis Frühjahr 2025.
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