Version 1: Wenig Sex sorgt für Stress
Forscher haben herausgefunden: Wer zu selten das Bett mit dem Partner teilt, überhäuft sich freiwillig mit Arbeit
Wer viel Stress hat, hat keinen Sex. Die Tatsache haben Wissenschaftler schon oft belegt. Nun haben Forscher der Universität Göttingen die These umgedreht. Sie haben herausgefunden, dass auch zu wenig Sex in der Partnerschaft den Stresspegel erhöht. Ein Befund, der die Wissenschaftler beunruhigt.
Die Mitarbeiter des Projekts Theratalk des Göttinger Instituts für Psychologie befragten ein Jahr lang fast 32.000 Männer und Frauen per Onlinefragebogen. Die Probanden waren zwischen 20 und 69 Jahre alt und lebten in festen Partnerschaften. Auf der Internetseite von Theratalk beantworteten sie Fragen zu ihrem Sexualleben. "Unser Fragebogen hat den Einzelnen die Knackpunkte in der Beziehung gezeigt. Gleichzeitig konnten wir auf diesem Weg sehr viele Menschen erreichen", sagt der Leiter des Projekts Theratalk, Ragnar Beer, und spricht von "der weltweit größten wissenschaftlichen Studie dieser Art".
Beer und seine Kollegen fragten nach Häufigkeit und Qualität des Geschlechtsverkehrs, erkundigten sich nach Kuscheln und Küssen, ließen Petting, Vorspiel und Oralsex bewerten und wollten wissen, wie lange die Probanden allein vor dem Fernseher sitzen. Am Ende stand die Frage, ob sich der ein oder andere "in Arbeit/Aktivität" stürzt, "um weniger frustriert" über sein Sexleben zu sein. Die Göttinger Forscher bekamen überraschende Antworten.
Sie fanden heraus, dass sich Menschen, die im Bett unzufrieden sind, oft mit Arbeit überhäufen. Sie klettern die Karriereleiter hinauf, übernehmen Ehrenämter oder engagieren sich im örtlichen Sportverein. "Die Leute wollen den Frust über ihr Sexleben in der Partnerschaft mit Hilfe von Alternativaktivitäten vergessen", sagt Beer. Mehr als ein Drittel der Männer und Frauen, die höchstens einmal in der Woche Sex haben, schlügen diesen Weg ein.
Noch schlimmer wird es, wenn es gar nicht mehr zum Sex kommt. Fast die Hälfte stürzt sich nur allzu bereitwillig in die Arbeit. Wer dagegen mindestens zweimal in der Woche befriedigt wird, legt mehr Wert auf Freizeit: Lediglich 5 Prozent der Männer und Frauen in dieser Gruppe suchen beruflichen und privaten Stress aus freien Stücken.
"Die Zeit, die man zusätzlich bei der Arbeit verbringt, fehlt dann für den Partner", warnt Beer und ist überzeugt davon, dass sich das weiter negativ auf die sexuelle Zufriedenheit auswirkt. Ein Teufelskreis, dem das Paar nur gemeinsam entkommen kann. "Wie viel Sex jemand braucht, hängt schließlich vom Einzelnen hab. Da müssen die Partner Kompromisse finden", sagt der Psychotherapeut.
Eine Ursprungs-Meldung - drei darauf aufbauende Texte. Die taz wollte wissen, welche Herangehensweise ihre Leserinnen und Leser haben möchten - und zwar beim Thema Sex. Die kritisch-kommentierende Version? Den spielerisch-schrägen Weg? Oder die nüchterne wissenschaftsjournalistische Variante? Für die Sonderausgabe der tageszeitung am Wochende 15./16. September 2007 zur "Zeitung der Zukunft" machte taz.de die Probe aufs Exempel. Sie hatten zwei Tage lang die Wahl.
Das Ergebnis:
1007 Leserinnen und Leser haben abgestimmt.
43 Prozent (431) stimmten für die Version 2, die kritisch kommentierende Version,
41 Prozent (416) stimmten für die Version 1, also die nüchterne wissenschaftsjournalistische Variante,
16 Prozent (160) schließlich für die spielerisch-schräge Version 3.
Seit 1996 forscht Beer darüber, "was getan werden kann, damit die Partnerschaft glücklicher wird". Vor fünf Jahren hat er die Seite Theratalk ins Leben gerufen, die Paaren online Hilfestellung gibt - unter anderem durch Fragebögen. "Mit Hilfe der Onlinetests erkennen wir, wo die Probleme liegen", sagt Beer, "und für diese Probleme entwickeln wir dann Therapien." Weltweit gebe es kaum Forschergruppen, die an Therapien arbeiten. Beer sagt: "International gilt Paarforschung als vollkommen unsexy."
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