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Versetzung nicht ausgeschlossen

Fraktionschef der SPD bleiben oder doch Verteidigungsminister werden? An der Personalie Rudolf Scharping entscheidet sich das Machtverhältnis zwischen Kanzler Gerhard Schröder und Parteichef Oskar Lafontaine  ■ Aus Bonn Markus Franz

Spätestens die Bild-Zeitung hat es gestern für Rudolf Scharping gerissen. „SPD: Strafversetzung für Rudolf Scharping?“ fragte das Blatt und berichtete, Parteichef Oskar Lafontaine habe damit gedroht, Scharping zur EU-Kommission nach Brüssel zu schicken, wenn er nicht freiwillig auf den Fraktionsvorsitz verzichte und Verteidigungsminister werde. Dabei ist unwahrscheinlich, daß nach Bekanntgabe dieses Details Scharping wirklich entmachtet würde. Denn so viel ist klar: Rudolf Scharping will erneut für den Fraktionsvorsitz kandidieren. In der Fraktion, die Einmischung von außen gar nicht gerne sieht, hat er eine deutliche Mehrheit hinter sich. Richtig ist aber auch, daß Lafontaine am liebsten Franz Müntefering im Amt des Fraktionsvorsitzenden sähe, der als sein Gefolgsmann gilt. Das Verhältnis zu Scharping ist seit dem Mannheimer Parteitag, als Lafontaine das Amt des Parteichefs übernahm, angespannt. Lafontaine, der selbst lange Zeit als Fraktionsvorsitzender im Gespräch war, hat sich nun endgültig für das Amt des Finanzministers entschieden. Aus Sorge, Gerhard Schröder könnte die SPD zu sehr vom bisherigen Kurs abbringen, möchte er in der Fraktion ein Gegengewicht schaffen. Das gilt erst recht, seit Schröder seinen Vertrauten Bodo Hombach als Kanzleramtsminister bestimmt hat. Der bisherige nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister fordert in seinem neuen Buch den „Abschied vom Sozialstaat bisherigen Typs“, will die Altersvorsorge umbauen und denkt über weitere sozialdemokratische Tabus nach. Lafontaine sieht seine links von Schröder ausgerichtete Politik in Gefahr.

Scharping und auch Müntefering werden Lafontaine den Gefallen eines Fraktionswechsels aber wohl kaum tun. Müntefering, der von Scharping als Bundesgeschäftsführer nach Bonn geholt worden ist, würde zwar das Amt des Fraktionschefs annehmen, aber nicht gegen Scharping darum kämpfen. Es widerstrebt ihm, Scharping nach dessen Abwahl als Parteivorsitzender erneut zu düpieren. Außerdem hat sich Scharping allgemein als fleißiger, loyaler Fraktionschef Anerkennung verschafft. Die Koalitionsgespräche basieren auf Papieren, die er vorbereitet hat.

Schröder hat sich noch nicht klar geäußert. Scharping müßte ihm aber lieber sein als ein Mann, den Lafontaine favorisiert. Das persönliche Verhältnis von Schröder und Scharping ist zwar ebenfalls belastet, dafür stehen sich die beiden aber inhaltlich nahe. Scharping hat schon vor vier Jahren vom Umbau des Sozialstaates gesprochen, wie es auch Schröders Vertrauter Hombach tut. Ganz ausgeschlossen ist es dennoch nicht, daß Scharping Verteidigungsminister wird. Lafontaine könnte argumentieren, Scharping werde als starkes sozialdemokratisches Gegengewicht zu dem künftigen Außenminister Joschka Fischer gebraucht. Andererseits käme für dieses Amt auch Günter Verheugen in Betracht, der für Schröder zum unverzichtbaren außenpolitischen Berater geworden ist. Entschieden wird die Frage des Fraktionsvorsitzes Ende Oktober zum Abschluß der Koalitionsverhandlungen. Wenn Scharping wollte, könnte er sich auch schon bei der nächsten Fraktionssitzung am kommenden Dienstag wählen lassen. Das Ergebnis wäre gewiß.

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