Verschwörungstheorien auf der Spur: Die Fratze der Wahrheit
Der Hoaxilla-Podcast aus Hamburg widerlegt Ideologien von Verschwörungsgläubigen. Seine Betreiber beobachten ein wachsendes gesellschaftliches Problem.
Manche sagen, sie seien Agenten des Bösen, dunkle Erfüllungsgehilfen der Macht, die alles kontrolliert. Sie verbreiteten Lügen per Podcast-Technologie: zielgerichtetes Störfeuer der Mächtigen, um von der eigentlichen Wahrheit abzulenken, massenkompatible Desinformationen in einem Medium, das auch Nischen erreichen kann. Nur ihre Auftraggeber sind immer andere: die Alliierten, Reptilienmenschen oder natürlich die Juden.
Schwarze Sonnenbrillen fürs Foto
Würde all dies stimmen, müssten ihre Namen eigentlich geheim sein. Sind sie aber nicht: Alexa und Alexander Waschkau sind verheiratet und berufstätig. Sie ist studierte Ethnologin mit Schwerpunkt Erzählforschung und hat gerade einen fiktiven Mystery-Roman geschrieben. Er ist Diplom-Psychologe und macht Erwachsenenbildung in Bad Segeberg. Sie haben eine Katze, eine modern eingerichtete Edelstahl-Küche und einen Thermomix. Doch was sie außerhalb der Arbeit tun, unterscheidet sie von den meisten anderen Menschen: Sie begreifen sich als Teil der Skeptikerbewegung und widerlegen Verschwörungstheorien.
Skeptizismus ist für sie vor allem ein internationales Netzwerk, das sich kritisch mit pseudo- und parawissenschaftlichen Themen beschäftigt. Für die Waschkaus gehört dazu auch eine Prise Mystery: Auf Twitter und ihrer Website nennen sie sich „Hoaxmistress“ und „Hoaxmaster“. Und: Sie setzen sich schwarze Sonnenbrillen auf und tragen lange Mäntel – zumindest für Fotos.
Damit hört der Spielraum für mystische Interpretationen aber auch auf. Die Waschkaus sind vor allem akribische Rechercheure und entzaubern mystische Konstrukte. Sie spielen die Argumentationen von Verschwörungstheorien durch und widerlegen diese im Detail. Alexander sagt: „Es ist spannend, mit einem einfachen Medium, das man selber gut bespielen kann, Menschen das wissenschaftliche-kritische Denken nahezubringen.“
Selbst Merkel sorgt sich
Ihr Medium, der Podcast, ist eigentlich nichts anderes als eine Gratis-Radiosendung im Internet. Ihr Magazin heißt „Hoaxilla“, nach „hoax“, dem englischen Wort für Falschmeldung oder Schwindel. Jede Folge dauert etwa eine Stunde und hat ein eigenes Thema. Es gibt Sendungen über Kryptozoologie, Störtebecker und Außerirdische, aber auch über die 9/11-Verschwörung, Chemtrails, Reptiloiden, Freimaurer und die BRD GmbH. Es existieren kaum Bereiche im verschwörungs-esoterischen Milieu, zu dem die beiden nicht umfangreich recherchiert haben. Seit sechs Jahren machen sie das – gerade arbeiten sie an ihrer 200. Folge.
Ihre Arbeit ist derzeit überaus relevant. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach kürzlich von „postfaktischen Zeiten“. Warum? „Es gibt nur wenige Menschen, die wirklich verstehen, was in Griechenland passiert ist“, sagt Alexander Waschkau, „wie soll man den Überblick über eine komplexer werdende Welt bewahren? Wenn jemand eine einfache Erklärung anbietet, idealerweise noch mit gut und böse, ist man sehr dankbar.“
Die jüngsten Entwicklungen bereiten den Waschkaus Sorgen: Angefangen hat das vor genau drei Jahren bei einer Begegnung mit Dr. Axel Stoll. „Der hat jede mögliche rechts-esoterische Verschwörungstheorie auf sich vereint. Weil er über Reichsflugscheiben, also Nazi-Ufos schwadronierte, haben ihn viele als verrückten Internetopa ausgelacht.“ Drei Stunden lang haben sich Alexander Waschkau und der befreundete Psychologe Sebastian Bartoschek mit Stoll unterhalten. Ergebnis: Stoll ist nicht verrückt, sondern zurechnungsfähig und gefährlich.
Aus dem Gespräch ist ein Interview in Buchform entstanden. 186 Fußnoten brauchte es, um „Stolls Quatsch“ faktenbasiert zu widerlegen. Ein Anwalt riet, manche Passagen gar nicht zu veröffentlichen, weil sie den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllen. „Er war nicht der lustige Internet-Opa, sondern klarer Neonazi und Volksverhetzer“, sagt Waschkau.
„En passant den Holocaust leugnen“
Als der Interview-Band herauskam, gab es weder Querfront-Montagsdemos noch Pegida. Damals warnten die Waschkaus, ein solches Denken verbreite sich an Stammtischen und auf rechten Clubtreffen. „Uns wurde Schwarzmalerei vorgeworfen. Heute schreien Pegida und AfD: Das wird man ja noch sagen dürfen.“
Stoll ist inzwischen gestorben, doch Teile seiner Gedankenwelt leben in dem Buch weiter – und finden weite Verbreitung in rechten Kreisen, etwa in der Verschwörungstheorie der „BRD GmbH“, wie sie die Reichsbürgerbewegung verbreitet. „Das Buch hat uns sehr viel ‚Ruhm‘ in der Reichsbürger-Szene eingebracht“, sagt Alexander Waschkau.
Die Reichsbürger erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat an. Einige ihrer Anhänger leben im eingebildeten Preußen, andere behaupten, die Reichsgrenzen von 1937 würden noch heute gelten. Ein paar der Anhänger gründen sogar ihre eigenen Staaten, inklusive Fantasieausweisen, Fahnen und Nummernschilder.
Mit vermeintlichen Beweisfetzen streiten Reichsbürger gerne mit Behörden und Polizisten: Das Grundgesetz sei keine Verfassung, es gebe keinen Friedensvertrag nach dem zweiten Weltkrieg, die Deutschen seien Angestellte einer BRD GmbH, einer fremdgesteuerten Firma, die sich nur als Staat ausgibt, deswegen heiße es ja auch „Personal“-ausweis.
Aufgrund der verfassungsrechtlichen und historischen Komplexität dieser Theorie gibt es gleich zwei Hoaxilla-Folgen zu dem Thema. Zum Vorschein kommt dabei der wahre Kern der Verschwörungstheorie: „Oft landet man bei anti-amerikanischen oder, wenn man noch mehr Zwiebelschalen wegnimmt, doch wieder bei anti-jüdischen Ressentiments. Da wird auch schon mal en passant der Holocaust relativiert oder geleugnet.“ Das antisemitische Ur-Verschwörungswerk „Die Protokolle der Weisen von Zion“ verkauft sich auch heute noch weltweit in hoher Auflage.
Wie hält man am besten dagegen?
Ein grundsätzliches Problem beim Widerlegen von Verschwörungsdenken: „Jemand kann in einer Minute sehr viel Blödsinn erzählen. Aber ein Wissenschaftler braucht trotzdem drei Stunden, um die Argumente ernsthaft zu widerlegen“, sagt Waschkau. Reichsbürger bereiten Behörden in den vergangenen Jahren immer mehr Aufwand und Kosten: Sie erkennen offizielle Dokumente nicht an, zahlen keine Steuern und stellen das staatliche Gewaltmonopol infrage. Inzwischen gibt es in Behörden gezielte Schulungen und Leitfäden, wie man mit Reichsbürgern am besten umgeht.
Das ist eine Frage, die auch die Hörer von Hoaxilla stellen: Wie hält man am besten dagegen? Das Problem: Verschwörungstheorien haben oftmals keinen theoretischen Charakter im wissenschaftlichen Sinne, sondern sind eher ideologische Welterklärungsmodelle – in sich geschlossen. „Bei manchen ist es wie der Glaube an Gott. Den kann man nicht wegdiskutieren“, sagt Alexa Waschkau. „Die meisten Verschwörungstheoretiker argumentieren auf Basis von Emotion. Auf eine faktische Ebene lassen sie sich gar nicht erst ein.“
Wenn die Waschkaus mit Verschwörungsgläubigen diskutieren, haben sie eine feste Strategie: „Wir sind dazu übergegangen, nur noch Fragen zu stellen. Häufig fehlt zwischen verschiedenen Trugschlüssen eine Logik. Im Idealfall widersprechen sich Verschwörungstheoretiker.“
Mehr als nur diskutiert hat kürzlich ein Reichsbürger in Reuden, Sachsen-Anhalt. Auf seinem stark verschuldeten Gehöft proklamierte er seinen eigenen Staat. Im August mobilisierte er erfolgreich 120 Personen, um seine Zwangsvollstreckung zu verhindern. 14 seiner Anhänger waren auch am Tag darauf noch da, als der Gerichtsvollzieher erneut anrückte, diesmal mit 200 Polizisten. Es kam zu schweren Ausschreitungen und einer Schießerei. Zwei SEK-Beamte sowie der Reichsbürger selbst wurden verletzt. Seine Anhänger feiern ihn seither als Märtyrer.
LSD an Unwissende
„Bei Hardcore-Verschwörungstheoretikern funktioniert der Dialog natürlich nicht“, sagt Alexa Waschkau. Den Kampf gegen Reichsbürger und andere Verschwörungsideologen führen die Waschkaus trotzdem weiter. Nach Feierabend sitzen sie dann gemeinsam im kleinem Büro in ihrer Wohnung, das aussieht wie ein Jugendzimmer in den Neunzigern. In den Regalen stapeln sich Gesellschaftsspiele und Science-Fiction-Bücher, davor Actionfiguren. In einer Ecke steht ein kleiner Schreibtisch mit einem Desktop-PC und kleinem Flachbildschirm: das ist das Studio. Als Mikrofon benutzen die Waschkaus alte Headsets mit mittelmäßiger Tonqualität. Jede ihrer Folgen hat 30.000 bis 70.000 Hörer.
Wie viele Verschwörungstheoretiker sie tatsächlich umgedreht haben, können sie nicht sagen. „Natürlich ist es ‚preaching to the choir‘“, sagt Alexander Waschkau, „unsere Hörer sind bereits kritisch.“ Dennoch kommt es zu Kontroversen und wütenden Kommentaren.
Ein Vorwurf, der immer wiederkehrt, ist dieser: Ihr tut so, als gäbe es keine Verschwörungen. „Dabei haben wir auch Sendungen über reale Verschwörungen gemacht“, sagt Alexander Waschkau. Paradebeispiel dafür: die „MKULTRA“- und „Artischocke“-Programme der CIA. Zwischen den 50er- und 70er-Jahren hat die CIA in geheimen Menschenexperimenten hohe Dosen LSD und andere Drogen an Unwissende in Alltagssituationen verabreicht – mit schweren körperlichen und psychischen Folgen für die Opfer, bis hin zum Tod. Zahlreiche Akten vernichtete die CIA, als der Skandal in der 70ern aufflog. „Das Ziel war Gedankenkontrolle. Die CIA führte sich auf wie die Weltherrscher. MKULTRA ist eine Vorlage für vieles, was heute herumgeistert und es war eine reale Verschwörung“, sagt Alexa Waschkau.
Würden Agenten des Bösen so etwas sagen?
Lesen Sie mehr über Verschwörungstheorien in unserem Schwerpunkt in der taz.am wochenende Seite 44,45 oder hier
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich