: Verschlußsache Weltvergiftung
■ Ein Symposium gegen die Verklärung von Energiepolitik
Am 26. April 1986 wurde die atomare Apokalypse in Tschernobyl Wirklichkeit. In der Ukraine wurden 2,5 Millionen Einwohner verstrahlt – die Fälle von Schilddrüsenkrebs bei Kindern der Region haben sich seither um das 20fache erhöht. In der Evangelischen Akademie fand nun zu diesem Thema am Samstag ein Symposium Europa ohne Atomenergie – ein Ost-West-Dialog statt.
Bezeichnenderweise waren von politischer Seite nur Vertreter der Grünen/Bündnis 90 bereit, über alternative Energiepolitik zu diskutieren. Aus der Bonner SPD-Baracke kamen fadenscheinige Absagen: „Auf Grund der zu geringen Informationen kann sich die SPD zu diesem Thema nicht öffentlich äußern!“ Dabei hat die Empfängerin des Alternativen Nobelpreises 1992, die ukrainische Journalistin Alla Jaroshinskaja, einst die geheim gehaltenen Dokumente der Katastrophe unter anderem deswegen entwendet, um die Weltöffentlichkeit aufzuklären. Die Publikation Verschlußsache Tschernobyl liegt zudem in Deutsch seit 1994 vor (Basis Druck Verlag, Berlin, 29,80 Mark).
Von diesem Symposium erhofften sich die Initiatoren nun authentische Berichte von Umweltaktivisten der ehemaligen Ostblockländer, deren Informationen so gut wie nie in den Westen gelangen. Die Problematik einer zukünftigen, gemeinsamen Ost-West-Energie-Politik und die dringend notwendige Zusammenarbeit bei Alternativ-Projekten steht immer noch unter dem Einfluß „einer Atom-Lobby in Ost und West, die im Kalten Krieg getrimmt wurde“, so der Konsens.
Eindringlich und solidarisch brachte sich auch die Kunst ins Bild: Jörg Stange von artbase schuf mit dem Architekten D. Brockmöller ein anspielungsreiches Veranstaltungs-Logo, daß auch in Zukunft Wirkung zeigen sollte: Das Bild „Die Akte Tschernobyl 1495-1986“ setzt da Vincis Abendmahl mit einem Chemikalien versprühenden MI-8-Hubschrauber über dem zerstörten KKW in Beziehung. Statt des Blicks in die perspektivische Landschaft das Grauen der Perspektivlosigkeit.
Wie gering unser Wissen um Atom-Lobbies und politisch-wirtschaftliche Kalküle ist, zeigten die Hinweise auf die unselige Rolle des französischen Energiekonzerns EDF, der seine ostpolitischen Interessen gegen jede ökologische Vernunft betreibt, oder die Aufklärung über den hier nie bekannt gewordenen AKW-Unfall A1 Jaslovske Bohunice in der Tschechoslowakei (1976/77) – die zerstörten Brennstäbe sollen noch vor Ort herumliegen.
Gunnar F. Gerlach
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