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Verschlossene Träume

Die Galerie im Berliner Palast der Republik: Kommunistenträume neben Landschaftsidyllen  ■ Von Rolf Lautenschläger

Mein Lieblingsbild ist der Mattheuer. Ich mag den Ausdruck, wie er die Familie auf dem Hügel über die Stadt und die Industrieschlote stellt. Da steckt viel von der DDR drin.“ Michael Biedermanns Stimme hallt im leeren Palast der Republik. Sein Kommentar wird von den sechzehn monumentalen Wandtafeln der „Kunstgalerie im Palast“ kalt zurückgeworfen, als verweigerten sie im dunklen Foyer die Kommunikation zwischen Bild und Betrachter. Biedermann, Leiter von zwanzig verbliebenen Palastangestellten, die für die technische Instandhaltung des asbestverseuchten „Volkshauses“ zuständig sind, wandelt täglich wie ein Geist durch die verlassene Kunst-Halle und streift an der Vergangenheit vorbei. In der zweigeschossigen Galerie sind jeweils acht Tafeln an den Längsseiten des Foyers plaziert. Das Bildprogramm wirkt wie Losungen, direkt, aggressiv, laut. Die Heroen der DDR-Malerei, etwa Willi Sitte, Arno Mohr, Heisig, Tübke, besetzen ganze Wände.

An Mattheuers „Guten Tag“ von 1975 bleibt Biedermann auf dem täglichen Rundgang deshalb stehen, weil die Pathosformeln einer euphorisch der Zukunft zugewandten Sozialismus-Familie dem Bild abhanden gekommen sind. Zerstörte Landschaft und Zivilisation, ein sicheres Gefühl und die Zukunftsplanung scheinen an dem sinnentleerten Ort aus dem Gleichgewicht geworfen. „Der Erlebnisbereich einer frohen Gemeinschaft, die Geborgenheit, Sicherheit und das Glück unseres sozialistischen Lebens widerspiegelt“, wie einst der Begleittext versprach, fehlt in der Bildwirklichkeit. Das gewaltige, epische Motto der Palast-Galerie „Dürfen Kommunisten träumen?“ habe Mattheuer wohl nicht als Wunschbild politischer Programmatik verstanden, sondern als Kritik der Illusion. „Was haben diese Figuren für Träume“, fragt Biedermann.

Hardcore des Sozialistischen Realismus

In den wenigsten Bildern der Galerie im Foyer sowie den 44 Gemälden „Landschaften der DDR“ für die Fraktionsräume knistert der Konflikt. Als Gehilfen der Kunstdoktrin des sozialistischen Realismus einerseits und als malerische Kulissen belangloser Idyllen andererseits erscheinen sie als Staatskunst, die Träume vorschrieb. „Doch gerade deshalb zeugt die Galerie von einer Zeit in der Malerei der DDR, in der mehr möglich war: Idyllen und der sanfte Widerstand, Politisches und unterschiedliche Stile“, meint die Kunstwissenschaftlerin Frauke Borchardt, ehemals Leiterin der DDR-Abgußsammlung und heute ABM- Kraft in der Kultur-Gesellschaft „Kunst und Kultur“. Borchardt fotografierte die Politschinken ebenso wie die kleinen Landschaftsmalereien, legte eine Dokumentation an und begann mit der Rezeptionsgeschichte der Palast- Bilder.

„Die Galerie war umstritten. Aber es war zu DDR-Zeiten schon interessant zu beobachten, daß vor dem ,Weltjugendlied‘ von Lothar Zitzmann immer die meisten Besucher standen. Das hatte sicher etwas mit der Einfachheit und Identifizierbarkeit, aber auch mit den schönen Farben zu tun“, sagt Borchardt. Schwierige Maler und abstrakte Motive seien eben schwerer verständlich.

Wohl war. Ein wenig erinnert Zitzmanns 5,52 Meter langer Fries, auf dem sich in Rot getauchte Jugendliche vom Wind in solidarischer Umarmung dahintragen lassen, an naive Plakatkunst.

Auch „Brot für alle“, ein vier Meter langer Mega-Schinken von Wolfram Schubert, oder „Tadschikistan“, die sechs Meter lange Völkerfreundschaft zur Sowjetunion von Erhard Großmann, verkörpern in Hardcore den Stil des sozialistischen Realismus. Die inszenierte Harmonie und das Beharren auf den Trugbildern des Gesellschaftssystems bilden die eine Seite der Medaille in der Palast- Galerie.

In der Minderheit bleiben die „schwierigen“ Künstler wie Heisig, Tübke oder Vent, die mit kritischen Chiffren, mythologischen Verschlüsselungen und psychologischer Einfühlsamkeit kommunistische Traumarbeit leisteten.

Die Galerie stellt nur einen Teil eines umfassenden Kunstprogramms für den Palast der Republik dar. „Mit dem Beschluß des Politbüros zum Aufbau des Palastes der Republik im März 1973“, erinnert sich Frauke Borchardt, „konstituierte sich ein Leitkollektiv aus den Architekten, bildenden Künstlern und Mitgliedern des ZK, die fünf ,Hauptgestaltungskomplexe‘ für den Palast erarbeiteten. Das zentrale Marx-Engels- Forum auf der Westseite des Gebäudes sollte den Auftakt, die sechzehn Meter lange Reliefgestaltung ,Kampf für Frieden und Sozialismus – Proletarier aller Länder vereinigt euch‘ dessen Fortsetzung bilden.“

Ein weiterer Schwerpunkt lag in der Suche nach symbolischen Formen für das Volkshaus: Für die Spreeseite entwarf Wieland Förster eine „Familiengruppe“. Auch sie blieb Papier. Die Rudimente des Kunstprogramms am Bau, die Fünf-Meter-Stele „Entwicklungsgeschichte der Menschheit – Lob des Kommunismus“ von Joachim Jastram sowie die Palast-Galerie und die Ausstattung der Nebenräume mit Bildern, Wandteppichen, Skulpturen und Terracotten wurden realisiert.

Dem Leitungskollektiv stand der Bildhauer Fritz Cremer vor. „Cremer genoß das Vertrauen vieler Kollegen“, erzählt der Maler Ronald Paris, damals selbst Mitglied im Leitkader. „Cremer hatte eine Lobby unter den Künstlern und verkörperte durch seine Integrität die künstlerische Freiheit. Zu Beginn der Arbeit trafen wir uns sehr häufig, diskutierten das Konzept, die Formate und Probleme mit dem Bau.

Das Konzept, die Auswahl der bildenden Künstler sowie die Themen entschieden die Künstler selbst. Weder wurden Inhalte noch der Stil vom Kulturministerium vorgeschrieben. Das bedeutet jedoch nicht, daß ich und meine Kollegen uns als unpolitische Maler verstanden. ,Dürfen Kommunisten träumen?‘ hieß für mich Fragen an die Vergangenheit und die Zukunft stellen.“

Der Burgfrieden hielt nicht lange: Zwischen dem Betonkopf Gieske, dem Architekten Heinz Graffunder, dem Ideologen Kurt Hager auf der einen und Cremer, Paris, Engelhardt und Vent auf der anderen Seite kam es zum Streit. Die Dominanz der Architektur über die Kunst machte die ideelle Gleichrangigkeit zwischen Kunst und Architektur zur Farce.

Die Auseinandersetzung mit den Architekten, die ihre Raumkonzepte und Erschließungssysteme, die Lichtführung und Ausstattung gegen die Künstler durchsetzten, veranlaßte Cremer zum Rückzug. Paris fühlt sich heute noch um den Stellenwert der Kunst betrogen: „In der Verwirklichungsphase träumten wir von dem alten Bauhausideal: Kunst und Architektur eine Einheit. Doch wir unterschätzten die Architektur. Die Bilder wurden schlecht gehängt. Unter der Empore erhielten sie kein natürliches Licht, im Obergeschoß verdeckten 1.001 Birnen aus Erichs Lampenladen die Kunst. Die lebendige Galerie, die man als Promenade erleben sollte, war dahin.“

Trotzdem: Zur Eröffnung des Palastes der Republik am 24. April 1976 widmete das Neue Deutschland der Galerie eine ganze Seite. „Zahlreiche bildende Künstler“, schrieb Peter H. Feist, „haben mit gleicher Termintreue wie die Bauleute unseren Palast der Republik durch eine Fülle von Kunstwerken bereichert. Die Gemälde zeigen wesentliche Seiten des gesellschaftlichen Anliegens, des hohen geistigen und gestalterischen Entwicklungsstandes und die Wirkungsmöglichkeiten, die sich die sozialistische Malerei in unserem Lande dank der klugen Führung der Partei erarbeitet hat. So könnte man die Galerie im Palast durchaus eine neuartige ,Nationalgalerie‘ nennen, die unmittelbar in das durch das Haus flutende Leben integriert ist.“

In der politischen Umbruchsituation stehen nun Standort und Wert der Kunstwerke zur Disposition. Seit September 1990 sind die Wandtafeln in dem wegen Asbestalarm verschlossenen Gebäude nicht mehr zugänglich. Die große Zahl der übrigen Gemälde, Wandteppiche und Skulpturen deponierte die Oberfinanzdirektion provisorisch im benachbarten Marstall. „Über den Verbleib der Kunst wird erst entschieden, wenn die Zukunft des Gebäudes geklärt ist“, erläutert OFD-Pressesprecher John. Doch selbst im Falle einer Sanierung oder neuen Nutzung werden die Bilder kaum in die alten Räume zurückkehren. Vorläufig setzte das Bundesinnenministerium, in dessen Besitz die Bilder übergegangen sind, nur fest, daß der Bestand zusammenbleiben muß und prominente Stücke nicht verkauft werden dürfen. Eine Entscheidung zur „Überstellung an das Deutsche Historische Museum, das sich bereits seit zwei Jahren für die Sammlung interessiert“, wie Monika Flacke vom DHM betont, sei noch nicht getroffen.

Die Bilder gehören an die Wand, unters Volk

In der Debatte um den Palast spielen die Bilder nur eine nachgeordnete Rolle. Jede Veränderung, ob Abriß oder Sanierung, bedeutete für die Kunstsammlung ihre „Auflösung“, meint Paris. Der Augenblick, in dem die Kunst in das Depot verschlossen wurde, kam einer Kaltstellung und künstlerischen Entwertung gleich.

Zugleich weist die Geringschätzung der Motive diesen eine unsichere gemeinsame Zukunft. Denn aus der Perspektive des auf Neuheiten und Moden schielenden kapitalistischen Kunstmarktes stellen etwa die Landschaften Marginalien längst vergangener Zeiten dar. Felsen auf Rügen, Obstbäume im Havelland, ein Kalkwerk am Oderbruch – alles emotionale Bilder nationaler Identität – gelten als unwichtige Farbtupfer. Doch sie gehören ebenso zur Sammlung des Palastes und der Kunstgeschichte der DDR wie die monumentalen Tafeln, deren prominente Maler im Visier der Museen und Kunsthändler bleiben, meint Frauke Borchardt. Die Aufteilung in das politische Monument und die kleine Landschaftsmalerei gleiche einer Spaltung der Kunst in Reflektion und Gefühl, der öffentlichen Bühne und dem Rückzug ins Private; eine der wesentlichsten Erscheinungen des DDR-Alltags.

Ronald Paris, Abrißgegner und Streiter gegen die Musealisierung der DDR-Kunst gleichermaßen, hält den Verschluß der Galerie nicht nur für eine politische Zensur seines Werkes. Zugleich bedeutet „der unmögliche Umgang“ mit der Kunst eine Zurücksetzung seines Ansehens als Künstler.

Paris gibt sich wütend ob der Ignoranz der Institutionen und der Pläne, die Bilder ungefragt „irgendwo reinzustellen“. Paris: „Die Sammlung gehört in ein öffentliches Gebäude, nicht in Museen für Eliten oder in ein Depot. Die Bilder verdienen nicht, dem Publikum entzogen zu werden. Sie gehören an die Wand, unters Volk.“

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