Verschätzt: Der HSV humpelt Richtung Weihnachten
Am elften Bundesliga-Spieltag bezieht der HSV seine erste Niederlage. Eigentlich kein Beinbruch - aber muss die so blöd sein? Gegen passive Gladbacher hat der HSV sich mit unnötigen Fehlern selbst geschlagen.
Der HSV startet mit Jonathan Pitroipa, als zweiter Spitze neben Marcus Berg, und Jérôme Boateng in der Innenverteidigung. Auf der Bank, das wird noch wichtig, kein Abwehrspieler. Als Defensive nur Tomás Rincón und Mickael Tavares. Vor kurzem gingen dem HSV die Stürmer aus. In der Regionalligamannschaft hat er welche gefunden. Er hat aber, wenn David Rozehnal mit Rot gesperrt ist und Alex Silva und Bastian Reinhardt verletzt ausfallen, keine Innenverteidiger mehr. HSV-Trainer Bruno Labbadia kann die Decke drehen und wenden wie er will, sie reicht nicht. Entweder der Kopf friert oder die Zehen schauen raus.
Borussia Mönchengladbach steht tief, rückt aber, ist die Gelegenheit da, nach vorne; hat allerdings keine Torchancen. Der HSV geht in Führung: Flanke Dennis Aogo, Marcus Berg zu Pitroipa, der zu Trochowski abtropfen lässt, Tor (13).
Gladbach ändert die Taktik nicht. Das reicht für ein Tor. Der Ball wandert über Raúl Bobadilla und Roberto Colautti zum 20-jährigen Marco Reus, der Frank Rost überwindet. Ausgleich.
Das Spiel des HSV sieht im Mittelfeld souverän aus, doch vorne fehlt Durchschlagskraft und die Abwehr wackelt. Kurz nach der Pause bekommt Zé Roberto einen Freistoß. Mit einer gewissen Portion Wut über das rüde Foul von Roel Brouwers an ihm setzt er den Ball aus 18 Metern ins Netz. "Auch da bekamen wir keine Ruhe ins Spiel, wir waren zu weit weg von den Leuten, wir standen nicht kompakt", kritisiert Labbadia nach dem Spiel.
Wie beim Leverkusen-Spiel hilft der Schiedsrichter, diesmal Deniz Aytekin, durch großzügiges Pfeifen dem Gegner. Boateng foult seinen Gegenspieler, beide fallen hin, der Schiedsrichter pfeift. Beim nächsten Mal tritt der Gegenspieler Boateng in die Achillessehne. Eindeutig Rot, Aytekin kriegt nichts mit, das Drama beginnt.
Boateng wird draußen behandelt, lange. Labbadia wechselt nicht. "Der Spieler muss signalisieren, ob es geht oder nicht. Da muss ein klares Signal kommen", fordert Labbadia, dem ein schmerzverzerrtes Gesicht und starkes Humpeln als Signale nicht reichen. Außerdem, so Labbadia, habe der Arzt gesagt: "Ist nicht gefährlich, ist nur eine Prellung."
Boateng schleppt sich über den Platz, kommt bei jedem Zweikampf zu spät. Er schaut zur Bank. Boateng will raus, aber er will es nicht sagen. Das lässt sein Stolz nicht zu. Der Trainer muss ihn rausholen, muss ihm helfen. Der Trainer tut nichts. Der Trainer schaut in eine andere Richtung. Zé Roberto ist der Meinung, "dass der Trainer zu spät gewechselt hat, Jérôme ist doch die ganze Zeit nur noch mit einem Bein gelaufen".
David Jarolím, Chefdiplomat des HSV, sagt: "Kein Vorwurf an den Trainer oder an Jérôme. Jérôme hat es versucht. Wir müssen nicht nach Fehlern suchen, wir sind selbst Schuld, wir müssen auch mal ein 2 : 1 über die Bühne bringen."
Der HSV bringt nichts über die Bühne, sondern sich um Sieg und Tabellenführung. In der 76. Minute eine Ecke, Juan Fernando Arango flankt, Dante kommt von hinten angerannt, springt, köpft, Boateng geht nicht hoch. Ausgleich. Zwei Minuten später verliert Boateng den Ball im Strafraum, Bobadilla steht allein vor Rost. Der hält. Den Abpraller klärt Boateng in Kamikazemanier. Dem HSV entgleitet das Spiel. Ballverlust im Mittelfeld, Überzahl der Gladbacher, toller Pass von Arango zum eingewechselten Rob Friend, der nach fünf Monaten Verletzungspause sein erstes Spiel per Tor krönt. Beim HSV hat der lang verletzte Marcell Jansen eine Chance: Linker Fuß, links vorbei.
Am Donnerstag kommt Celtic Glasgow, Europa League. Jarolím glaubt, dass "wir Spieler etwas gelernt haben". Wir Zuschauer haben gelernt, dass es nicht gut ist, den harten Kerl zu geben, der HSV manchmal nur souverän aussieht, der Trainer Fehler ungern zugibt. Wer tut das schon gerne? Aber wer tut es so ungern wie Labbadia?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!