■ Die UNO läßt Srebrenica und die anderen Enklaven allein: Verraten und verkauft
Wer einmal erlebt hat, wie Menschen vor Angst in Panik geraten, der kann sich leichter als andere ausmalen, wie es den 43.000 Menschen in Srebrenica jetzt wohl gehen muß. Seit drei Jahren von der Außenwelt abgeschlossen, belagert, von internationalen Hilfsorganisationen nur unzureichend versorgt, dem Hunger ausgesetzt, sehen sie sich dem Ansturm der Karadžić- Truppen gegenüber, die sich in Srebrenica für den Befreiungsversuch Sarajevos rächen wollen. Und was das heißt, weiß in Bosnien jedes Kind: Plünderung, Zerstörung, Vergewaltigung, Folter, Mord.
Nicht einmal wehren können sie sich. Seit 1993 ist Srebrenica „demilitarisiert“, das heißt entwaffnet und zur „UNO-Schutzzone“ erklärt. Nur noch wenige Waffen sind verblieben, die für eine ernsthafte Verteidigung nicht ausreichen. Und auf den Willen der UNO vertrauen, die „Schutzzone“ zu verteidigen, kann angesichts der Erfahrungen mit der Politik der Weltorganisation wohl niemand mehr in der Enklave. Erst recht nicht angesichts der Belege dafür, daß die Aktion der serbischen Streitkräfte von höchsten UNO-Stellen sogar geduldet wird.
Dem Sonderbeauftragten des UNO-Generalsekretärs, Yasushi Akashi, sind die bosnischen Enklaven schon seit langem lästig. Er klagt darüber, daß sie die UNO in einen ständigen Konflikt brächten und die Blauhelme, die über serbisch besetztes Gebiet dorthin gelangen müßten, zu potentiellen Geiseln der serbischen Extremisten machten. So trägt die Resolution des Weltsicherheitsrates vom 15. Juni Akashis Handschrift, in der die „Demilitarisierung“ auch der anderen bosnischen Enklaven Zepa, Goražde und Sarajevo gefordert wird. Dafür, so wurde der bosnischen Regierung von seiten der UNO unterderhand versprochen, würde ein sicherer Korridor nach Sarajevo durchgesetzt.
Nach außen hin muß die UNO jedoch zu ihren „Schutzzonen“ stehen. Eine Evakuierung der Bevölkerung vor der serbischen Eroberung kommt aus völkerrechtlichen Gründen nicht in Frage, da die UNO offiziell dann zu „ethnischen Säuberungen“ beitragen würde. So läßt man den serbischen Eroberern freie Hand. Selbst in dem Falle, daß es den Schnellen Eingreiftruppen erlaubt wäre, mitzuhelfen, einen sicheren Korridor nach Sarajevo zu schaffen, was Akashi persönlich bisher verhindert hat – den Menschen in Srebrenica (und den anderen Enklaven) würde dies nicht helfen. Nein, es bleibt ihnen keine andere Wahl, als zu warten und in Panik zu geraten. Lediglich ein schnelles und entschiedenes Handeln der USA könnte die Katastrophe noch verhindern. Doch auch dafür stehen trotz des Hilferufs der bosnischen Regierung die Zeichen schlecht. Erich Rathfelder, Split
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen