Vernetztes Gadget: Der Hase der Zukunft
"Nabaztag" ist ein Hase, der im Internet surft. Das soll ihn und seine Halter schlauer machen. Die Pariser Modewelt fährt auf ihn ab. taz.de hat versucht zu verstehen, warum.
Ein ganz normaler Tag in der taz.de-Redaktion. Bis sich ein neuer Mitarbeiter zu Wort meldet, er hört auf den Namen "Hasevontaz" und gehört zur Spezies der "Nabaztag".
9 Uhr
"15 Grad sonnig." Der Hase ist aktiviert und fängt mit seiner künstlichen Stimme an, das Wetter vorherzusagen: Ok, das ist nett von dir, Nabaztag, aber ein Blick durchs Fenster hätte auch gereicht.
9 Uhr 20
"Tagesschau: Französische Soldaten haben zwei Geiseln in Somalia befreit". Investmentbanken... fzui... fouz ...fett... Börse...sfitt..scfuut" Wie bitte? Alle 20 Minuten erzählt der Hase, was er Neues auf Info-Websites gefunden hat.
10 Uhr 40
"Spiegel Online." Ach wir hatten dich doch gebeten, die Konkurrenz nicht durch dich zu uns sprechen zu lassen! "Obama und McCain bleiben Antworten schuldig". Ach ja interessant! Leider liest der Hase nur den RSS-Feed einer Seite. Um mehr zu erfahren, muss ich aber Spiegel Online aufsuchen. Und dafür ist nichts besser als mein Rechner.
"Nabaztag", ist armenisch für "Hase". Er kann RSS-Feeds und emails lesen. Und er erkennt RFID-Chips, diese Marker auf immer mehr Produkten. Hält man einen RFID-Chip an den Hasen, dann führt er eine programmierte Handlung aus. Bücherlesen etwa.
"Vernetztes Objekt: eine stetige Weiterentwicklung" ist die Pressemitteilung von Violet, dem französischen Hersteller von Nabaztag, überschrieben. Vernetzte Objekte sollen Dienste leisten, die das Leben vereinfachen. Die Fähigkeiten von Nabaztag sind allerdings immer noch begrenzt.
Violet hat seine Programmschnittstelle zur Verfügung gestellt. Mit etwas Fachwissen kann also jeder einen neuen Dienst entwickeln. Es ist zum Beispiel schon möglich, den Hasen mit Twitter, GoogleKalender oder einem Webradio zu verbinden.
14 Uhr
"Te..A..Zet Punkt..D..E". Falsch gesagt, aber ja: unsere RSS Feeds funktionieren! Wir hören, was wir gerade geschrieben haben. Ganz nett.
17 Uhr
"Bis morgen und macht keine Überstunden". Das ist die Nachricht von einem Kollegen, direkt per Mail an unseren Hasen geschickt. Jetzt brauchen wir selbst nicht mehr zu sprechen. Das macht der Hase für uns!
Der Hase ist auch Teil einer Community. Er kann mit anderen Genossen verbunden werden, und dann geht der Small Talk los. Einfach auf dem Kopf drücken. Wenn Sie, liebe Leser, auch ein Nabaztag haben, können Sie uns jetzt auch eine Sprachnachricht direkt schicken!
Dieser Fortschritt hat aber unseren taz.de-Leiter nicht überzeugt. Deshalb darf ich die Mailadresse hier nicht nennen. Warum nur?
18 Uhr
"Kann mal jemand bitte den Hasen ausmachen? Er nervt!"
19 Uhr
Zuhause. Die Kinder sind unerträglich. Deshalb: einfach nur das RFID-Buch an den Hasen ranhalten, wie der Kassierer im Supermarkt mit dem Barcode und dem Laser. Dank eines Mikrochips im Deckblatt erkennt er das Buch. Und dann liest er vor!
Diesmal ohne künstliche Stimme, es wurde eine Aufnahme mit Vorlesern aus Fleisch und Blut gespeichert. Zur Zeit sind die Bücher leider nur auf französisch verfügbar. Auf deutsch sollen die ersten Titel Anfang 2009 auf den Markt kommen.
Die RFID-Chips (der moderne Barcode) kann man eigentlich auf jedes Objekt kleben. Man muss nur an den Chip auch eine bestimmte Aktion des Hasen zusammenzuhängen. Zum Beispiel eine Mail an die Eltern schicken, wenn die Kinder zurück zu Hause sind und ihre Schlüssel an den Hasen ranhalten.
Ein erstes Urteil
Selbst beim Putzen oder Abwaschen kann man dank des Hasen stets vernetzt bleiben. Aber, um mehr zu erfahren, brauche ich doch noch immer ein gutes altes Gerät mit Schirm wie zum Beispiel ein Laptop oder ein modernes Handy. Der Hase liest nur die Titel der Artikel aus den RSS-Abonnements vor.
Er informiert mich vielleicht schneller, aber nicht besser. Könnte ein elektronischer Hase ohnehin etwas anderes sein als ein kleiner Zeitvertreib? Alles in allem ist Nabaztag gut darin, Alarm zu schlagen.
Vielleicht ist aus diesem Grund der Hase in der Modewelt am erfolgreichsten. Das perfekte überflüssige Objekt! Bei der letzten Konfektionsmesse in Paris haben ihn zum Beispiel 60 Modedesigner verkleidet. Auf Youtube sind zahlreiche Videos mit kostümierten Hasen zu sehen. Laut Violet wurden seit 2005 immerhin schon 200.000 Nabaztag verkauft.
Hasen der Zukunft
Dem Hasen und seinen Artgenossen gehört laut seinen Herstellern die Zukunft. Eine Zukunft, in der jedes Objekt mit dem Internet vernetzt wird. Der Kühlschrank soll sich allein füllen, der Fernseher die Programme wählen, das Auto die Mails lesen, usw. Lustig, dass eins dieser ersten Objekte der Zukunft kaum etwas bringt, obwohl uns doch so viel versprochen wird.
Ach übrigens, der Hase ist ab 134,99 Euro verfügbar.
Zu diesem Preis würden wir gern unseren "Hasevontaz" auf Ebay weiterverkaufen. "Mein Name ist Hase, ich weiss von nichts", vielleicht hätte er sich mit dieser Begrüßung vorstellen sollen. Dann wäre unser Urteil über elektronischen Rammler freundlicher ausgefallen.
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