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■ Vernebelung statt Aufklärung und Ahndung von Kriegsverbrechen im ehemaligen JugoslawienSrebrenica: Noch Besuchstermine frei

„Nachts träume ich manchmal davon, daß ich mit meinen eigenen Fingern in einem Massengrab nach Leichen suche.“ Nach ihrem Srebrenica-Besuch am letzten Wochenende demonstrierte Elisabeth Rehn in zahlreichen Medieninterviews viel persönliche Betroffenheit und Engagement. Das ist ihr durchaus abzunehmen. Obwohl die UNO-Sonderberichterstatterin für die Menschenrechte in Exjugoslawien gar kein Massengrab zu sehen bekam.

Denn die nach eigenem Bekunden zur „Objektivität nach allen Seiten entschlossen(e)“ Ermittlerin ließ ihr Besuchsprogramm weitgehend von den lokalen Serben bestimmen. Und die führten Frau Rehn und ihren Medientroß nach langem Fußmarsch auf einen Hügel, wo sie zehn Leichen muslimischer Männer „entdecken“ durfte, die sich laut serbischer Darstellung nach dem Fall Srebrenicas an dieser Stelle gegenseitig erschossen haben. Identität und Herkunft der Leichen sowie der neben ihnen liegenden auffällig gut erhaltenen Ausweise blieben völlig ungeklärt.

Doch über die Medien wurde weltweit der Eindruck vermittelt, als betreibe die UNO-Sonderberichterstatterin die Aufklärung von Kriegsverbrechen und des Schicksals von 8.000 Muslimen, die seit der Eroberung Srebrenicas verschwunden sind. Statt dessen dient ein Polittourismus dieser Art eher der Vernebelung der realen Lage. Denn zentrale Voraussetzungen einer wirklichen Aufklärung sind entgegen manch falschen Darstellungen dieser Tage weiterhin nicht erfüllt.

So hat weder Serbiens Präsident Slobodan Milošević US-Außenminister Warren Christopher bei dessen jüngstem Belgrad-Besuch die Auslieferung von Radovan Karadžić, Ratko Mladić oder anderer Personen versprochen, gegen die ein Haftbefehl des Internationalen Kriegsverbrechertribunals in Den Haag vorliegt, noch hat die Ifor inzwischen die dringend erforderliche dauerhafte Sicherung der Massengräber von Srebrenica und anderer Stätten mutmaßlicher Kriegsverbrechen vor weiterer Beweiszerstörung und -manipulation zugesagt oder den Schutz von Personen, die einen Auftrag zur Untersuchung dieser Stätten haben.

Milošević lehnte es auch ab, dem Tribunal Beweismaterial zu überlassen oder bei der Identifizierung von Zeugen und Opfern zu helfen – selbst in solchen Fällen, in denen das Tribunal wegen muslimischer oder kroatischer Kriegsverbrechen an Serben ermittelt. Wenig größer ist die konkrete Kooperation der Regierung Tudjman, wie der Vorsitzende Richter des Tribunals, Antonio Cassese, am Dienstag klargestellt hat.

Die Ifor ist weiterhin nur zur völlig unzureichenden „Luftüberwachung“ bereit, zum Objekt- und Personenschutz aber nur in Einzelfällen und auf Anfrage. Wie wichtig der Personenschutz wäre, verdeutlicht folgende Tatsache: Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat bereits seit Anfang Oktober (!) eine komplette Namensliste der 3.000 muslimischen Zivilisten, die die Serben nach der Eroberung Srebrenicas gefangennahmen. Aus Angst vor serbischen Übergriffen gegen seine 120 MitarbeiterInnen in Bosnien hat das IKRK diese Tatsache bis heute nicht öffentlich gemacht. Trotz zahlreicher Nachfragen und Treffen von IKRK-Vertretern mit Karadžić und anderen Serbenführern haben die Serben bislang über keinen einzigen der 3.000 Muslime Auskunft erteilt.

Obwohl keine internationalen Polizeikräfte existieren und auch auf absehbare Zeit nicht in ausreichendem Umfang existieren werden, verweigert die Ifor weiterhin nicht nur die aktive Suche nach vom Tribunal angeklagten Personen.

Selbst die von General Smith versprochene „Festnahme dieser Personen, wenn sie uns über den Weg laufen“ findet nicht statt. Statt dessen lassen sich französische Ifor-Soldaten von mit internationalem Haftbefehl gesuchten Serben und Kroaten in Cafés bedienen und erklären sich für unwissend und unzuständig, wenn sie von Dritten auf die Identität dieser Personen hingewiesen werden. Und der Kommandeur der russischen Ifor-Einheiten trifft sich auf einen Slibovitz mit Karadžić zum vertraulichen Gespräch.

Das Tribunal in Den Haag wird vom UNO-Sicherheitsrat weiterhin finanziell völlig unzureichend ausgestattet. Von den 50 zusätzlichen Ermittlern, die Chefankläger Richard Goldstone bereits im September 1994 gefordert hatte, konnte bislang nicht einer angestellt werden. Das bei Etablierung des Tribunals im November 1993 zu einem unerläßlichen Bestandteil erklärte Schutzprogramm für aussagebereite Opfer und ZeugInnen von Kriegsverbrechen existiert bisher nur rudimentär. Derzeit sind vom Sicherheitsrat für die Den Haager Behörde nur Haushaltsmittel bis Ende März bewilligt. Zur Begründung der finanziellen Strangulierung des Tribunals muß die Finanzkrise der UNO herhalten.

Diese Abdrosselung der Arbeit des Tribunals ist politisch gewollt und folgerichtige Konsequenz der strategischen Entscheidung der westlichen Regierungen, der Stabilisierung Serbiens unter dem Milošević-Regime auch nach Abschluß des Dayton-Vertrages Vorrang zu geben vor einer Aufklärung und Ahndung der Kriegsverbrechen. Aus diesem Grund werden in Washington, Paris und Bonn auch weiterhin Geheimdiensterkenntnisse unter Verschluß gehalten, die zur Aufklärung von Kriegsverbrechen beitragen könnten, aber auch Belgrad und Milošević schwer belasten würden.

In Washington fand die strategische Prioritätensetzung für die Stabilität nach administrationsinternen Auseinandersetzungen zwischen „Menschenrechtlern“ und „Realpolitikern“ statt. (Ähnlich wie gegen Ende des Golfkrieges vor fünf Jahren, als in der Bush- Administration zeitweise der Sturz Saddam Husseins erwogen wurde.) Bonn schloß sich Washington umstandslos an. Die Regierungen in London, Moskau und – mit einigen Schwankungen – Paris waren immer schon für diese Prioritätensetzung. Sie verschonen uns wenigstens mit verlogenen Beteuerungen, die Kriegsverbrechen würden jetzt „energisch und entschlossen verfolgt“.

In Srebrenica sind für Februar/ März übrigens noch einige Besuchstermine frei. Wie wäre es mit dem Menschenrechtsausschuß des Bundestages? Die lokalen Serben stellen gerne wieder ortskundige Führer, geländegängige Fahrzeuge und heißen Tee. Und vermieten den Gästen Übernachtungszimmer. In der ehemaligen Muslimenenklave gibt es jetzt ja genug leerstehenden Wohnraum. Andreas Zumach, Genf

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