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Vermeintliche PC-Spiel-AbhängigkeitZwangstherapie für Schüler

Weil er zu viel "World of Warcraft" spielte, muss ein 17-jähriger Schüler aus Schweden nun eine Entzugs-Therapie machen. Experten streiten, ob es eine PC-Sucht wirklich gibt.

"World of Warcraft"-Figur: Kann man von einem Online-Game abhängig werden? Bild: ap

STOCKHOLM taz Ein Gericht hat einen 17-jähriger Schüler aus dem westschwedischen Falkenberg eine zwangsweise Computerspielentziehungskur vorordnet. Er soll in eine Einrichtung zur Behandlung von Spielabhängigkeit eingewiesen werden, weil, so die Begründung des Landgerichts "er sich von der Umwelt isoliert und einen nicht akzeptablen Tagesrhythmus angewöhnt hat". Das selbst im fürsorglichen Schweden als ungewöhnlich angesehene Urteil geht auf eine Initiative des zuständigen Jugendamts zurück, das von den Eltern eingeschaltet worden war, weil diese sich über die vermeintliche Spielabhängigkeit ihres Sohnes sorgten.

"Er hat seit vielen Jahren Computerspiele gespielt", heisst es im Urteil, "die letzten beiden Jahre hat er sehr viel Zeit mit World of Warcraft (WoW) verbracht. Die Eltern beschreiben dies als die Entwicklung hin zu einer Abhängigkeit, die ihn extrem bestimmt." So verlasse er kaum sein Zimmer, vernachlässige die Schule, habe keine sozialen Kontakte, habe teilweise die Nacht zum Tage gemacht und werde aggressiv oder apathisch, dürfe er nicht am Rechner sitzen. "Der Behandlungsbedarf ist akut", fährt das Urteil fort, "ein entsprechender Behandlungsplan muss umgehend einsetzen."

Der Psychologe und Psychotherapeut Owe Sandberg, der als ein Spezialist für "Spielmissbrauch" gilt, spricht von einer Computerspielabhängigkeit, die, "wird sie entzogen zu einer Abstinenz führt, welche der eines Drogenabhängigen gleicht, der seinen Stoff nicht bekommt". Man wolle dem Jungen nun einer Therapie unterziehen, die ihm ermögliche "in den Kontrollraum der Vernunft zurückzukehren und sich bewusst zu werden, wann es Zeit ist Stopp zu sagen".

Gegen die dem Urteil zugrunde liegende "Abhängigkeits-Vorstellung" wendet sich Jonas Linderoth vom Institut für Pädagogik und Didaktik der Universität Göteborg. Gerade in dieser Woche hat der staatliche schwedische "Medienrat" eine von Linderoth verfasste Studie "Att leva i World of Warcraft" ("In World of Warcraft leben") veröffentlicht. Und er warnt vor Panikmache: "Es ist ein grosses Problem, wenn Menschen zu viel Computerspiele spielen, aber es ist Unsinn, das als psychische Störung anzusehen. Man spricht von Abhängigkeit und Missbrauch, doch dafür gibt es in Wirklichkeit keinen Beleg." Der Begriff sei aus der Glücksspielabhängigkeit übernommen worden und in Bezug auf Computerspiele seiner Meinung nach fehl am Platz.

In der schwedischen WoW-Studie wird den Eltern empfohlen, sich erst einmal darüber kundig zu machen, warum es für ihre Kinder offenbar so schwer ist, sich von bestimmten Spielen, vor allem "Massively Multiplayer Online Role-Playing Games" (MMORPG) zu trennen. Linderoth: „Eltern müssen verstehen, dass die nicht wie die alten Computer-Spiele sind, deren man nach ein paar Tagen überdrüssig wird. Das hier ist ein Online-Lifestyle. Es gibt einen Gruppendruck in diesen Spielen. Man ist Mitglied in einer Gilde. Man hat eine soziale Verantwortung gegenüber vielleicht 24 anderen Spielern. Man kann nicht einfach abbrechen, nur weil Mama ruft "Essen ist fertig". Das ist genauso, wie wenn man einen Fussballspieler mitten im Match zurufen würde: "Komm, das Essen wird kalt". Die Kumpels kann man doch nicht einfach in Stich lassen." Und man müsse verstehen, dass solche Spiele auch ein grenzenloses Element wegen der geographischen Zeitunterschiede haben: "Beim Mitspieler ist es eben vier Stunden früher oder später."

Die Studie empfiehlt Eltern Vereinbarungen mit ihren Kindern zu treffen, sich nur Gilden anzuschliessen, die nicht tägliche "Raids" haben und zu Zeiten zusammenspielen, die den üblichen Schlafrhythmus nicht zu sehr durcheinanderbringen. Linderoth: "Man kann dann den entsprechenden Tag oder die entsprechenden Raid-Tage respektieren, die Essenszeiten entsprechend anpassen und muss nicht unruhig werden, wenn es mal drei Stunden dauert." Viele Konflikte und auch viele elterliche Sorgen liessen sich durch solchen Umgang mit MMORPG -spielenden Kindern vermeiden: "Man kann diesem Spielen dann die gleiche Struktur wie einem Sporttraining geben."

Und Linderoth, der sich "selbstverständlich" selbst in "WoW" vertieft hat, "in erster Hand aus wissenschaftlichen Gründen", hält es für eine Voraussetzung "diese Spiele erst einmal gründlich selbst zu spielen, bevor man sich substantiell dazu äussert": "Ansonsten ist man nicht besser als ein Literaturwissenschaftler, der keine Bücher liest."

Der nun vor einer Zwangsbehandlung stehende 17-jährige hatte diese vor Gericht im Übrigen als unnötig zurückgewiesen. Er sitze nur am Rechner, wenn er nichts anderes zu tun habe, habe eben "im real life" keine gleichaltrigen Freunde und ausserdem "hört kein Erwachsener auf mich und nimmt ernst, was ich zu sagen habe". Er sehe bei sich keine WoW-Problematik, sondern eine solche mit seiner Mutter.

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