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„Verletzung mit Todesfolge“

Gesellschaft für Strahlenschutz: Wismut-Erbe kostet mindestens 130 Milliarden Mark / Krebsrisiko durch Radon wird amtlich unterschätzt  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Den Anlaß für die Gründung der Gesellschaft für Strahlenschutz (GSS) vor drei Jahren gab, so Vizepräsident Gerhard Schneider, die „Internationale der Verharmloser“ von der Nuklearindustrie bis in die Politik. Ein Dauerbrenner also: Am Wochenende in Dresden nahm sich die Gesellschaft des Themas „Gesundheitliche Risiken und Folgen des Uranbergbaus in Thüringen und Sachsen“ an. Das Ergebnis dieses Fachkongresses von mehr als 200 Ärzten, Wissenschaftlern und Behördenvertretern weist über die medizinische Bewertung des strahlenden Erbes des Kalten Krieges weit hinaus.

Nicht nur müsse das Krebsrisiko durch sogenannte niedrige Radonkonzentrationen aufgearbeitet werden. Die Gesellschaft fordert auch eine Überprüfung der gesetzlich fixierten Grenzwerte. Ihr wiedergewählter Präsident, Edmund Lengfelder, hielt das Strahlenrisiko für „bisher um das Zehnfache, vielleicht auch noch mehr, unterschätzt“. Die zu erwartende Zahl von Krebstoten in Deutschland sei wesentlich höher als offiziell angenommen.

Horst Kuni, Nuklearmediziner an der Universität Marburg, leitete daraus verschärfte Schutzanforderungen auch für Beschäftigte in solchen Bereichen ab, in denen die Belastung durch Radon bislang nicht für relevant gehalten wurde. So sei die Arbeit im Schacht Konrad auch ohne Zusatzbelastung durch radioaktiven Müll mit den Anforderungen an einen Dauerarbeitsplatz nicht zu vereinbaren. Als einen Straftatbestand der „Körperverletzung mit möglicher Todesfolge“ wertete der Mediziner die vorgebliche „Gesundbehandlung“ in Radonbädern. Kuni kritisierte scharf, daß noch nicht einmal die seiner Auffassung nach völlig unzureichenden Empfehlungen der wegen ihrer Nähe zur Nuklearmafia umstrittenen Internationalen Strahlenschutzkommission (ICPR) zum Gesetz erhoben wurden. Seit 1990 würden die Richtlinien bereits vorliegen; ob in diesem Jahr das entsprechende Gesetz geändert werde, sei fraglich.

Die Ärztin Inge Schmitz-Feuerhake, Universität Bremen, sprach von schätzungsweise 40 tödlichen Krebserkrankungen jährlich allein bei beruflich strahlungsexponierten Menschen, die noch innerhalb der zulässigen Grenzwerte gearbeitet haben. Kaum einer der Betroffenen habe die Chance, Krebs als Berufskrankheit anerkannt zu bekommen. 7.000 der einst 400.000 Wismut-Kumpel leiden an Lungenkrebs, der als Berufskrankheit anerkannt wurde. Mit einer Dunkelziffer von weiteren 7.000 müsse gerechnet werden, dazu noch andere Formen von Krebserkrankungen. Wie auf der Tagung mitgeteilt wurde, können die Wismut- Beschäftigten ihre bisher verweigerte Anerkennung der Berufskrankheiten jetzt noch einmal beantragen. Um neues Unrecht zu vermeiden, müßten diese Anträge jedoch, so Kuni, nach den von der GSS geforderten niedrigeren Grenzwerten entschieden werden.

Die Neubewertung der Gesundheitsrisiken durch radioaktive Strahlen ist einer der Gründe dafür, daß die GSS die Folgekosten für das Wismuterbe mit 130 Milliarden DM veranschlagt. Der Bund als Eigentümer der Wismut rechnet immer noch mit 13 Milliarden DM im Laufe der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre.

Angesichts knapper Kassen sei nach Auffassung des Präsidenten der Gesellschaft für Strahlenschutz zu befürchten, daß Kompromisse und Gefahren für die Gesundheit in Kauf genommen werden. Der Strahlenexperte Christian Küppers vom Öko-Institut Darmstadt wies auf die akuten Gefahren in der Uranbergbauregion hin. Christian Küppers erwarte eine „Krebshäufigkeit von 60 und mehr Fällen aus 1.000 Einwohner“.

Lengfelder betonte mehrfach das Interesse seiner Gesellschaft, über das Wismut-Erbe gemeinsam mit der Wismut zu diskutieren. Mit Übernahme der Wismut durch das Bundeswirtschaftsministerium sei jedoch „die Bereitschaft, Daten offenzulegen, nicht viel größer geworden“, stellte er ernüchtert fest. Der Physiker und Wismut-Kritiker aus der DDR-Opposition, Sebastian Pflugbeil, bedauerte, daß die Chance zur Aufarbeitung der Geschichte dieses größten europäischen Nachkriegs-Militärprojektes nicht genutzt wird. Ein geladener Mitarbeiter des Zentralen Krebsregisters der Ex-DDR durfte auf Anweisung des geschäftsführenden Büros in Berlin nicht an der Tagung teilnehmen. Geladene ehemalige Funktionäre der Wismut meldeten sich krank. Auch die neuen Wismut-Chefs lehnten es ab, sich bei einem öffentlichen Forum auf das Podium zu setzen.

Dennoch mochte ein Betriebsrat im Saal das „nicht enden wollende Mißtrauen“ gegen die Wismut nicht verstehen. Und Wismut- Geschäftsführer Manfred Hagen verwahrte sich in einem Zwischenruf gegen den Vorwurf, die Sanierung laufe nicht transparent: „Wir gehen mit allem, was wir haben, an die Öffentlichkeit. Und das wird nicht schlecht angenommen.“

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