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Verlaufsmusik

■ Gehört: Steve Reich, Synergy, Ensemble Modern

„Ich bin an wahrnehmbaren Prozessen interessiert“, äußerte Steve Reich 1971. „Ich möchte den Verlauf des Prozesses in der Musik von Anfang bis Ende hören.“ Seine Music for 18 Musicians, Four Women's Voices and Instruments markierte 1976 einen wahrnehmbaren Übergang seines ×uvres: vorbei die Strenge, auf allmählich aneinander vorbeigeschobenen einfachsten musikalische Figuren fußend. Drumming, dessen erster Teil das Konzert eröffnete, ist deutliches Beispiel jenes früheren Ansatzes: Das schrittweise Auffüllen eines „leeren“ Zwölferschemas mit Einzelschlägen und Patterns abgestimmter kleiner Trommeln.

In Music for 18 Musicians... gelangt Reichs Vokabular zu einer später kaum erreichten Perfektion. Zwar ist die Besetzung gewachsen, aus dem einen variierten Akkord sind elf geworden – aber das Stück atmet in reinster Form Reichs Idee. Es ist Rückblick wie Höhepunkt. Zählt für so manchen Minimalisten äußerste Kargheit zu den Tugenden, setzt Reich in Music for 18 Musi-cians... vielmehr auf eine genaue Inaugenscheinnahme des Wohlklangs. Stetig pulsierende Pianos und Holzschlaginstrumente, lauter und wieder leiser werdende, wortlose Stimmen und Holzblasinstrumente, verhaltene Streicherstakkati, ein markant akzentuierendes, die Akkordwechsel ankündigendes Metallophon – weit entfernt von der eher mathematischen Faszination von Drumming entfaltete sich eine packende „pausenlose Stunde kühler Hypnose“ (Neue Musikzeitung).

Am Sonnabend auf Kampnagel, konnte man sich überdies auch ein Bild davon verschaffen, wie hilfreich es ist, wenn sich Komponist, Ausführende und Werk bereits begegnet sind.

In Interviews erwähnt Reich gelegentlich, er ziehe die Arbeit mit aufs Zeitgenössische spezialisierten Ensembles der mit großen Orchestern vor. Das um vier Sängerinnen der Londoner Synergy verstärkte Ensemble Modern ist zweifellos eines der besten für seine Belange – auch wenn sich der Metallophonist tatsächlich einmal verspielte. Das mag auch erklären, warum Reich gleich selbst mitspielte.

Ein wenig grimmig blickte er zunächst unter seiner sportiven Mütze hervor, erst nach getaner Arbeit stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht, als er sich auch bei anhaltendem Applaus des nahezu ausverkauften Hauses weigerte, allein vor sein Publikum zu treten. Einzig ein paar Schritte vor den Musikern zu stehen, war Reich dem festlichen Personenkult zu gewähren bereit.

Alexander Diehl

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