Verhütung: "Geil und aggressiv"
Für eine medizinische Versuchsreihe hat der Journalist Clint Witchalls die Pille für den Mann getestet. Er würde sie wieder nehmen - trotz übler hormoneller Nebenwirkungen.
INTERVIEW: MICHAEL AUST
taz: Mr Witchalls, warum wollten Sie überhaupt die Pille für den Mann testen?
Clint Witchalls: Meine Frau hat mich gedrängt, eine Vasektomie machen zu lassen. Aber ich wollte nicht. Der Test der Pille für den Mann schien mir eine gute Möglichkeit, die Vasektomie noch mindestens ein Jahr hinauszuzögern.
Clint Witchalls, britischer Journalist, schreibt für den "Independent" und den "New Scientist". Sein Buch "Die Pille und ich. Ein Mann im Selbstversuch" erschien beim Rowohlt Verlag.
In dem Test hat man Ihnen ein kleines Röhrchen im Oberarm eingepflanzt, das ständig das weibliche Hormon Progesteron in ihren Körper abgab. Außerdem bekamen Sie regelmäßig Testosteron-Spritzen. Wie haben die Hormone bei Ihnen angeschlagen?
Die Wirkung des Testosterons kamen mir sehr bekannt vor. Es fühlte sich an, als wäre ich wieder ein Teenager: geil, mürrisch und aggressiv. Während des Tests bekam ich alle zehn Wochen Testosteronspritzen. In den ersten acht Wochen nach der Spritze fühlte ich mich wie gerade beschrieben, aber während der letzten zwei Wochen vor der neuen Injektion war mir zum Heulen zumute. Ich fühlte mich ungeliebt, unsicher und empfindlich. Keine Ahnung, ob das die Wirkung des Progesterons war oder eine Kombination aus wenig Testosteron mit viel Progesteron. Vielleicht ein Doppelangriff. Egal, ich fühlte mich auf jeden Fall schrecklich.
Wie haben sich die Hormone auf Ihren Alltag - und Ihr Eheleben - ausgewirkt?
Ich wurde als Verkehrsrowdy in mehrere Unfälle verwickelt, einige davon habe ich in meinem Buch geschildert. Außerdem konnte ich mich sehr schlecht konzentrieren - was es extrem schwierig machte, Verabredungen einzuhalten. Meine ständigen Stimmungsschwankungen wirkten sich außerdem ungut auf mein Eheleben aus. Meine Frau und ich hatten eine Menge Streit.
Wie hat Ihre Frau auf Ihre Veränderung reagiert?
Zuerst mochte sie den neuen Clint. Clint 2.0 war viel besser als die Beta-Version, die sie geheiratet hatte! Ich war sehr aufmerksam zu ihr - sexuell aufmerksam, wenn das Testosteron wirkte, und emotional aufmerksam unter dem Einfluss des Progesterons. Im Verlauf des Versuchs veränderte sich meine Stimmung allerdings immer dramatischer, am Ende litt ich unter einer ausgeprägten Depression. An diesem Punkt wurde meine Frau dann richtig ärgerlich, weil wir vorher nicht miteinander besprochen hatten, ob ich an dem Versuch teilnehmen soll oder nicht. Ich hatte es einfach getan und sie vor vollendete Tatsachen gestellt.
Sie schreiben am Ende Ihres Buchs, Sie würden die Pille trotzdem anderen Männern empfehlen, wenn sie denn irgendwann marktreif ist. Warum das?
Es laufen zurzeit viele "Pille für den Mann"-Versuchsreihen in aller Welt, aber der Test, an dem ich teilgenommen habe, wurde gestoppt. Ich kann nur vermuten, dass zu viele andere Freiwillige die gleichen Symptome hatten wie ich, also dramatische Stimmungsschwankungen. Wenn es nicht diese Stimmungsschwankungen gäbe, würde ich die Verhütungsmethode definitiv nutzen. Hauptsächlich deshalb, weil man sich - wenn das Implantat einmal eingepflanzt ist - nie mehr um Verhütung kümmern muss. Wenn nur ich so stark auf die Hormone reagiert hätte, wäre das kein Grund für andere Männer, auf die "Pille für den Mann" zu verzichten. Das wäre genauso, als wenn man sagt: Nur weil einige Frauen die Pille nicht nehmen können, sollten sie keine Frau nehmen. Ich glaube, Männer sollten mehr Auswahl haben bei der Verhütung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!