Verhörmethoden im Iran: "Ich werde dich steinigen lassen"
Im Iran werden Gefangene durch sexuelle Erniedrigung gezwungen, falsche Aussagen zu machen und außereheliche Kontakte zu gestehen. Die Journalistin Fereshteh Ghazi hat das selbst erlebt.
Fereshteh Ghazi weiß, wovon die Rede ist, wenn heute im Iran über Folter und Vergewaltigung in den Gefängnissen gestritten wird. Die 30-jährige Bloggerin und Journalistin saß nämlich im Jahr 2004 selbst 40 Tage im Gefängnis.
Seither macht sie es sich zur Aufgabe, regelmäßig Angehörige von Gefangenen vor dem Evin-Gefängnis aufzusuchen und ihnen bei der Suche nach Informationen und der Planung gemeinsamer Aktionen zu helfen. Über Twitter berichtet sie anschließend über die Lage der Häftlinge.
Während der Demonstrationen nach den umstrittenen Präsidentschaftswahlen vom 12. Juni 2009 waren es ihre Tweets, die 20.000 Menschen erreichten, die mit am besten über Treffpunkte, Reden oder Freitagspredigten informierten. Ghazi schrieb bislang für die Reformzeitung Etemade Melli, die von dem Präsidentschaftskandidaten Mehdi Karrubi gegründet und am 16. August von den Behörden geschlossen wurde.
Außerdem ist sie Autorin der Internetzeitung Roozonline, die von bekannten reformorientierten Journalisten und Menschenrechtlern inner- und außerhalb des Landes betrieben wird, beispielsweise dem beliebten Glossenschreiber Ebrahim Navabi. Dort veröffentlichte sie jetzt einen langen Bericht über ihre Zeit im Gefängnis.
Damit will Ghazi klarstellen, dass diejenigen, die jetzt abstreiten, dass es Folter gibt, genau wissen, dass diese seit Jahren praktiziert wird. Am 28. Oktober 2004 wurde Ghazi von der Sittenpolizei festgenommen und blieb bis zum 7. Dezember in Haft. Sie war eine von mehreren Bloggerinnen und Journalisten, die damals einkassiert wurden.
In ihrem Bericht beschreibt Ghazi die Methoden, mit denen Gefangene gezwungen werden, "Geständnisse" abzufassen und zu unterschreiben, die dann häufig in den iranischen Medien veröffentlicht werden. Nach ihrer Verhaftung 2004 wird sie zunächst nach einer länger zurückliegenden Reise nach Afghanistan befragt. Schnell wird deutlich, worauf diejenigen, die sie verhören und deren Gesichter sie wegen ihrer verbundenen Augen nicht sieht, abzielen.
Auf die Frage, für wen sie spioniert habe, entgegnet Ghazi, sie sei als Journalistin für Emrooz Online dort gewesen. Es folgt die Frage: "Wie viele Packungen Antibabypillen hast du mitgehabt?" Bei dem nächsten Verhör geht es dann direkt um sexuelle Kontakte. "Der Mann beschreibt in einem ekelerregendem Ton Einzelheiten, die er vermutlich in einem Pornofilm gesehen hat, und bedrängt mich: ,Bist du nach Afghanistan gefahren, um deine niederen Triebe zu befriedigen? Mit wie vielen Männern hast du es getrieben? Wie viele waren mit dir im Raum, wo sie dich … haben?'"
Nun hat Ghazi, die verheiratet ist, die Wahl. Sie "darf" sich aussuchen, ob sie sich der Spionage oder der außerehelichen sexuellen Kontakte bezichtigt. Schließlich schreibt sie auf ein Stück Papier: "Ich bin wegen Spionage nach Afghanistan gefahren, seitdem betreibe ich Spionage für die USA, und ich werde sehr gut dafür bezahlt." Ihre Hoffnung, die Tortur, in deren Verlauf sie auch geschlagen wurde, habe nun ein Ende, erfüllt sich nicht.
"Nun wurde ich zu meinen Verbindungen zu Reformpolitikern gefragt", schreibt sie in Roozonline. Natürlich kennt sie als Journalistin alle, die Rang und Namen haben. Das ist es aber nicht, was der Untersuchungsrichter hören möchte. Er zählt die Namen prominenter Politiker auf und verlangt, dass Ghazi ihre sexuellen Kontakte zu ihnen beschreibt. Der Mann erzählt wieder eine Pornogeschichte mit kleinsten Details. Das soll sie alles aufschreiben - für das "Geständnis". Die Stimme des Mannes klingt dabei erregt und genüsslich.
Ghazi übergibt sich, nimmt die Augenbinde ab und will gerade aufstehen, als ihr Kopf durch einen Schlag auf den Tisch prallt. Blut fließt aus ihrer Nase den Hals herunter und auf ihre Kleider. Sie wird in die Zelle zurückgebracht, ohne dass sie sich waschen kann. Dort bleibt sie eine Weile vor Schmerzen gekrümmt am Boden liegen, ehe sie erneut vor den Untersuchungsrichter gerufen wird.
Sie protestiert lautstark: "Ich habe doch ein Geständnis abgelegt!" Aber das beeindruckt den Mann, der hinter ihr steht, nicht. Er befiehlt: "Du sollst aufschreiben, was ich dir sage, sonst werde ich dich in eine Zelle schmeißen und dafür sorgen, dass man dich so lange vergewaltigt, bis du ins Gras beißt." Um seine Drohung zu unterstreichen, fügt er hinzu: "Wir haben hier viele Männer, die seit Jahren keine Frau mehr gehabt haben, und sie brennen drauf, eine Frau zu …"
Tagelang geht es so weiter. Ghazi soll gestehen, einen offenen Brief für die Freilassung der zu Tode verurteilten Afsaneh Nourouzi geschrieben zu haben. Nourouzi hatte sich gegen einen Vergewaltiger zur Wehr gesetzt. Mit ihrem Brief habe Ghazi die iranische Justiz in Verruf gebracht. Sie solle ferner aufschreiben, dass sie von Radio Liberty Gelder erhalten habe, um negativ über den Fall der kanadischen Fotojournalistin Zahra Kazemi zu berichten, die im Gefängnis nach einem Schlag auf den Kopf starb.
Weiter soll Ghazi schreiben, sie habe von Reformpolitikern Befehle erhalten und die nationale Sicherheit wegen Spionage für die Türkei gefährdet. Und sie soll notieren, dass sie von Israel Geld erhalten habe, um über 13 Juden, die in Schiraz wegen Spionage verhaftet wurden, falsche Nachrichten zu verbreiten.
Und dass Emrooz Online nur gegründet worden sei, um die islamische Regierung zu stürzen. "Ich sollte gestehen, dass ich im Parlament ins Zimmer von einem bestimmten Abgeordneten gegangen sei, mich ausgezogen und ihn aufgefordert habe, mich zu …", schreibt die Journalistin in ihrem Bericht weiter.
Erneut wird Ghazi mit einer Massenvergewaltigung gedroht. Wenn sie nicht unterschreibe, könne ihr Mann bei einem Autounfall ums Leben kommen, heißt es weiter. Einmal sagten die Peiniger: "Deine Mutter hatte einen Herzanfall und ist schon seit drei Tagen tot. Alle warten nur auf dich, um sie zu beerdigen. Wenn du vernünftig bist, lassen wir dich frei."
Schließlich erhält Ghazi Besuch von Richter Saberi Zafarghandi. "Ich wollte ihm alles erzählen, was mir passiert ist", schreibt die Journalistin. "Kaum war er in der Zelle, schrie er mich an: ,Du machst einen Hungerstreik?! Ich werde vier Zeugen besorgen und dich wegen außerehelicher Beziehungen steinigen lassen.' "
Nach ihrer Freilassung gegen Kaution wurde Fereshteh Ghazi wegen ihrer schlechten körperlichen und psychischen Verfassung sofort in ein Krankenhaus gebracht. Sie musste sich einer Therapie unterziehen, weil sie die Nähe von Männern nicht aushalten konnte. Nicht mal die ihres eigenen.
Aber sie wollte das Vorgefallene nicht auf sich beruhen lassen. Sie beschwerte sich beim Teheraner Staatsanwalt Saeed Mortasawi über das, was ihr angetan wurde. Sie musste hören, solche Dinge seien bei einem Verhör erforderlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen