: Verhandelt wird nur über Kapitulation!
■ Russischer Armeechef: Tschetschenen sollen aufgeben. Trotz angekündigter Waffenruhe wird weiter geschossen
Moskau/Grosny (rtr/AP/AFP/dpa) – In Tschetschenien wird weiter geschossen – trotz der von Rußlands Präsident Boris Jelzin am Sonntag angeordneten Waffenruhe. Nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur Interfax griffen in der Nacht zu gestern tschetschenische Rebellen im Südosten der Kaukasusrepublik russische Truppen an. Dabei wurden den Angaben zufolge insgesamt 28 russische Soldaten getötet und 75 weitere verletzt.
Der Kommandeur der russischen Truppen in Tschetschenien, Wjatscheslaw Tichomirow, erklärte gestern, seine Truppen hätten um Mitternacht alle „Operationen auf dem Territorium von Tschetschenien eingestellt“. Die russischen Einheiten würden jedoch zurückschlagen, falls sie angegriffen würden. Sonderoperationen gegen die Rebellen sollen fortgesetzt werden. Auch komme ein Abzug der Truppen derzeit nicht in Frage. „Bei den von Jelzin in Aussicht gestellten Verhandlungen kann es allenfalls um die Bedingungen einer Kapitulation der Separatisten gehen“, sagte Tichomirow.
Der russische Präsident Boris Jelzin hatte am Sonntag seinen lange angekündigten Plan zur Beendigung des 15monatigen Tschetschenien-Krieges vorgestellt. In dem Krieg sind mindestens 30.000 Menschen getötet und mehrere hunderttausend obdachlos geworden. Jelzin hatte in seiner Fernsehansprache den Krieg als größtes Hindernis für seine angestrebte Wiederwahl im Juni gewertet. Neben dem Stopp der Offensive soll es einen schrittweisen Teilabzug der russischen Streitkräfte, indirekte Verhandlungen mit dem von Moskau nicht anerkannten tschetschenischen Präsidenten Dudajew sowie freie Parlamentswahlen geben.
Unterdessen kündigte der Chef des russischen Parlaments, Gennadi Selesnjow, die Möglichkeit einer Amnestie für den tschetschenischen Rebellenführer Dschochar Dudajew an. „Ich schließe nicht aus, daß es sinnvoll wäre, Dudajew zu amnestieren, um das Blutvergießen in Tschetschenien zu stoppen und viele Menschenleben zu retten“, sagte Selesnjow.
Die tschetschenischen Rebellen zeigten auch gestern keine Absicht, das Feuer einzustellen. Sie rechneten damit, daß die Lage im Land schlimmer statt besser werde, sagte ein Vertreter der Rebellen.
Jelzins Gegenkandidat bei der Präsidentenwahl am 16. Juni, der Chef der russischen Kommunisten, Gennadi Sjuganow, kritisierte die neue Initiative der Regierung. Die angekündigte Einstellung der Angriffe komme viel zu spät, sagte Sjuganow. Es wäre besser gewesen, wenn die russische Regierung von vornherein auf Verhandlungen statt auf Krieg gesetzt hätte. Der Reformpolitiker und Chef der liberalen Jabloko-Partei, Grigorij Jawlinski, äußerte Zweifel daran, daß die russische Armee und die Rebellen dem Plan zustimmen würden. Der ehemalige sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow sagte, der Plan lasse mehr Fragen offen, als er beantworte.
Die Regierungen westlicher Staaten reagierten positiv auf Jelzins Plan. Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP) erklärte, es handle sich um eine „bedeutsame Grundsatzentscheidung“. Die internationale Staatengemeinschaft werde die Erklärung Jelzins aber daran messen müssen, ob den Ankündigungen auch Taten folgen. Auch die französische Regierung begrüßte Jelzins Anordnungen als richtigen Schritt. In einer Erklärung des Außenministeriums bot Frankreich die Hilfe der Europäischen Union und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bei den Verhandlungen über eine Beendigung des Krieges an. Tagesthema Seite 3
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