Vergewaltigung im Fernsehen

■ Franca Rame „spielt“ in einer Celentano–Show im italienischen TV Vergewaltigung - ihre eigene / Rätselraten um Verwicklung von Neofaschisten und Carabinieri in Überfall auf die Hauptdarstellerin des Dario Fo–Theaters

Aus Rom Werner Raith

Zunächst dachten die ItalienerInnen an einen der üblichen Einfälle ihres notorischen enfant terrible der Show–Kunst: Zwei Stunden nach Beginn seiner Samstagsshow „Fantastico“ kündigte Adriano Celentano an, „daß Ihnen jetzt Frohsinn und Freude wohl vergehen werden“. In den früheren Sendungen hatte er sich an dieser Stelle mal mit der Atomkraftwerkslobby, mal mit den Jägern, mal mit den Robbenfängern angelegt, unterstützt zumeist durch drastisch gefilmte Dokumentareinspielungen. „Diesmal“, sagte Celentano, „geht es um etwas Alltägliches - um Vergewaltigung“. Mehr als 2.000 Fälle werden pro Jahr in Italien angezeigt, allenfalls die Spitze des Eisbergs. Rund 30.000 Verfahren stehen zur Aburteilung an, erläuterte Celentano sein neues Konfrontationsthema. Die ZuschauerInnen im Saal nahmen es schweigend hin; zunächst eher neugierig noch, nicht erschreckt. Doch dann holte der Showmann den Gaststar aus der Kulisse: Franca Rame, bis vor kurzem Hauptdarstellerin der Theaterstücke von Dario Fo (ihr Ehemann), brachte ihren „Bericht einer Vergewaltigung“ auf die Bühne. Leise, rücklings über einen Stuhl gelehnt, die Hände verkrampft nach unten gedreht, schilderte sie die Gefühle einer Frau, die von drei Männern überfallen wird - bis hin zum wiedereinsetzenden Denken nach der Tat, den Überlegungen, ob man ihr überhaupt glauben wird, welche Fragen man ihr stellen wird. Resignierend schließlich nur noch gehaucht der Satz: „Ich werde die Anzeige erst morgen erstatten“. Das Publikum schwieg, Celentano murmelte „Ich schäme mich, daß ich ein Mann bin“ - in diesem Augenblick mochte man ihm das schon glauben - und die Presse übte sich die nächsten zwei Tage lang im Zerreden der Wirkung. Fortsetzung auf Seite 6 Da hieß es dann: Schön, daß Franca Rame nach 20 Jahren wieder einmal im TV war; wieviel Ausdruck sie doch immer noch hat! Allerdings: ob man solche Themen wirklich im Fernsehen behandeln soll? Noch dazu in einer Show - es sehen doch auch Kinder zu (halb elf Uhr abends) - und: stellt man da nicht vielleicht einen Einzelsektor der Kriminalität über Gebühr heraus? Der eigentliche Schock kam zwei Tage danach: Da erklärte un versehens ein Angeklagter im Prozeß von Bologna wegen des Attentats auf den Bahnhof der Stadt 1980, das 85 Tote kostete: „Franca Rame wurde tatsächlich vergewaltigt - vor 15 Jahren in Mailand, und zwar von drei meiner neofaschistischen Kollegen, unter tatkräftigem Schutz von Mailänder Carabinieri.“ Der da sprach, gilt selber als „Experte“ auf dem Gebiet: Angelo Izzo, diverser rechtsextremistischer Attentate überführt, hat vor einigen Jahren in San Felice Circeo bei Rom ein Mädchen vergewaltigt und getötet. Und wie sich herausstellte, ist seine Behauptung, Neofaschisten hätten Frau Rame vergewaltigt, so neu gar nicht - sie findet sich bereits in einem drei Jahre alten Protokoll eines Untersuchungsrichters. Der allerdings hat den Schleier des Vergessens über den Fall gelegt - wie übrigens ganz Italien: Bis zum vorigen Wochenende mochte sich niemand mehr an die damals von Fo immer wieder denunzierten Vorgänge von 1973 erinnern, als die Carabinieri systematisch „Pressionen und Aktionen gegen die linksradikale Theatergruppe des Dario Fo“ (so ein Vernehmungsprotokoll) durchführten.