: Vergeßt die Namen nicht!
■ Der chinesische Journalist Zhang Weiguo ist weiterhin in Haft/ Ein Beispiel von vielen
Es ist für die meisten von uns schwer, sich mit den vielen Verhafteten und Ermordeten in China zu identifizieren. Man erinnert sich kaum an ihre Namen, die Menschen sind unbekannt und ihre vielen verschiedenen Heimatorte sind auf der Landkarte schwer zu finden. Einer dieser nicht so berühmten Leute ist ein Journalist namens Zhang Weiguo. Als ich in Peking arbeitete, kannte ich ihn gut, und es war deshalb ein Schock für mich, eines Morgens einer 'Reuter‘-Meldung entnehmen zu müssen, daß der Bürgermeister von Shanghai, Zhu Rongij, zwar die Entlassung von sieben anderen Verhafteten bestätigte, Zhang aber weiterhin im Gefängnis saß. Der einzige Name, der von Zhu außerdem erwähnt wurde, war der des berühmten Schriftstellers Whang Ruowang; der 71jährige war schon seit Jahrzehnten ein Dorn im Fleisch der Kommunistischen Partei und hatte hartnäckig für seine persönliche Würde und Integrität gekämpft.
Wang Ruowang hat in den Studentenunruhen, soweit ich weiß, keine aktive Rolle gespielt, aber vermutlich war es unvermeidlich, daß er bei einer Repression wieder einmal dransein würde. Wang ist zweimal aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen worden; das erste Mal im Zuge der „Anti-Rechts-Kampagne“, und nach seiner Rehabilitierung ein zweites Mal 1987, nach Studentendemonstrationen, die wenige Monate zuvor stattgefunden hatten.
Zhang Weiguo dagegen ist 1956 erst geboren worden — genau wie ich. Und obwohl das nichts mit Logik zu tun hat, so macht diese Tatsache, daß er der gleichen Generation angehört wie ich, den gleichen Beruf hatte und wir in vielem zu den selben Urteilen gekommen waren, seine bis heute andauernde Haft für mich besonders bestürzend.
Zhang war damals der Peking- Korrespondent des 'World-Economic-Herald‘ aus Shanghai, damals die wohl einflußreichste Zeitung Chinas. Das hört sich nach einer ganz großartigen Position an — und die Büroräume der Zeitung in Peking waren daher eine ziemliche Überraschung. Nicht weit vom Halteplatz der Touristenbusse entfernt, die hier ihre Passagiere für den Besuch der Verbotenen Stadt ausladen, biegt man in eine kleine Gasse. Das kleine Schild, das dort irgendwo an der Wand angebracht ist, wird leicht übersehen. Dahinter liegt das hier übliche kleine Innenhofgebäude, in dem Zhang mit seinen Kollegen lebte und arbeitete. Ein altes Ehepaar kochte für sie und kümmerte sich um den Kleinkram. Der Ort war schäbig und ärmlich. Man fand Zhang fast immer im Morgenmantel vor, unter dem sein Pyjama sichtbar war.
Viele Menschen, Ausländer und Chinesen, kamen hier täglich vorbei, um sich über den Klatsch auf dem laufenden zu halten, jedenfalls in der Zeit vor dem Beginn der Demonstrationen.
Als ich das letzte Mal dort war, etwa eine Woche nach dem Massaker vom 4.Juni, war dieser Ort verlassen. Nur das alte Ehepaar war noch da, mißtrauisch und verschlossen. Die Zeitung war aufgelöst, die Journalisten hatte man zu Verhören und Untersuchungen nach Shanghai zurückbeordert.
Erst Monate später erfuhr ich, daß Zhang verhaftet war und im „Haus Nummer Eins“ in Shanghai in Einzelhaft gehalten wurde. Dieses „Haus Nummer Eins“ gilt als das schlimmste Gefängnis Shanghais und womöglich ganz Chinas. Die Gefangenen leben dort in unvorstellbarer Überbelegung und entsprechendem Schmutz und Gestank. Viele sterben an den Brutalitäten der Wächter. Einzelhaft bedeutet in China meist, daß der Gefangene in einer Höhle angekettet wird, die zu niedrig ist für ihn, um aufrecht zu stehen.
Ich weiß nicht, warum Zhang immer noch im Gefängnis ist. Er hatte mit den Demonstrationen nicht mehr und nicht weniger zu tun als alle aus diesen Kreisen. Als ich während der Demonstrationen bei ihm war, klingelte permanent das Telefon; Kontaktleute riefen an und gaben den neuesten Stand der Ereignisse — und Gerüchte — durch. Er war eine Art Mittler, besonders nach Shanghai, aber ganz gewiß kein Verschwörer oder Organisator.
Ich denke, daß der Hauptgrund seiner weiterhin bestehenden Haft darin liegt, daß er schon lange vor der Bewegung kritische Artikel über die Wirtschaftspolitik der Partei in Shanghai geschrieben hatte. Die Parteiführung der Stadt war gegen größere Reformen und hatte jegliche Entwicklung Shanghais blockiert.
Ich habe mit Zhang nicht viel über seine persönliche Vergangenheit gesprochen. Aber sein Alter und sein Name — der etwa als „Landverteidiger“ übersetzbar ist — bedeuten, daß er zur Generation der kulturrevolutionären Roten Garde gehört. Seine entscheidenden Jahre zwischen 11 und 20 hat er unter dem Einfluß des Vorsitzenden Mao und der Viererbande, ihrer tödlichen Politik, verbracht, die besonders strikt in Shanghai ausgeführt wurde.
So unterschiedliche Biographien wie die unseren, könnte man meinen, haben einen tiefen Abgrund zwischen uns geschaffen — aber Zhang ist Journalist. Und wir waren uns nahe. Trotz der gemeinsam erlebten Aufregung des letzten Jahres ist erst jetzt der Abgrund tief. Zhang ist im Gefängnis. Jasper Becker
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