Vergessene Wandbilder von Manfred Henkel: Innere Bewegung auf Beton
Manfred Henkels Kunst im öffentlichen Raum in Berlin wird heute übersehen. Er galt als ein katholischer Künstler, den die Wahrnehmung interessierte.
Der gebürtige Göttinger Henkel lernte sein Handwerk als Meisterschüler des linken Malers Manfred Henninger. Dieser hatte unter anderem bei Oskar Kokoschka in Dresden studiert und 1929 mit anderen jungen Künstler*innen die „Stuttgarter Neue Sezession“ gegründet: Eine Gruppe mit Hang zum „expressiven Realismus“, die 1933 von den Nationalsozialisten zwangsaufgelöst wurde. Nach der Machtübernahme floh Henninger zunächst über die Schweiz auf die Insel Ibiza, musste aber schon 1936 aufgrund des spanischen Bürgerkriegs ins schweizerische Tessin zurückkehren, wo er bis nach Kriegsende im Exil blieb. Er wurde schließlich 1949 als Professor an die Staatliche Akademie der bildenden Künste Stuttgart berufen.
Obwohl Henninger noch vergleichsweise stark figürlich arbeitete, findet sich schon bei ihm ein lebendiger und religiös aufgeladener Malgestus wie er später für Henkel prägend sein wird. Henningers Sujets sind vor allem Landschaften oder Porträts, die er aus unterschiedlich dicken Farbstrichen zusammensetzt.
Für ihn besaßen diese farbigen Kompositionen die Fähigkeit, ihre Betrachter*innen mit dem Ursprung des Seins zu verbinden: „Die einzelne Farbe, so gering die im Bild auftretende Quantität auch sei, stammt aus einem der Ströme, welche die Urfarbe sind und die immer durch die Welt und die Menschen fließen“, führte er 1947 in seiner Programmschrift „Ein Bekenntnis zur Malerei“ aus.
Wie sein Lehrer geriet Henkel in den Mahlstrom der Zeitgeschichte. Noch während des Kunststudiums kommt er mit Ellinor „Ello“ Michel (1939–2007) zusammen. Sie ist ebenfalls Künstlerin und die Tochter eines womöglich in die Vorbereitungen zum Attentat vom 20. Juli 1944 verstrickten Wehrmachtsoffiziers. Nach der Geburt eines gemeinsamen Sohns zieht das Paar 1963 von Stuttgart nach Westberlin.
Die 60er Jahre in Westberlin
Dort verliebt sich die Künstlerin in Andreas Baader, den späteren Gründer der „Rote Armee Fraktion“ (RAF). Obwohl sich das Ehepaar Henkel bereits innerlich getrennt hat, wohnen sie noch längere Zeit zusammen, zeitweise sogar mit Baader. Später wird auch Gudrun Ensslin, der zweite Kopf der RAF und Geliebte von Baader, mit ihrem Sohn Felix bei Henkel und seiner neuen Lebensgefährtin Gertrud „Agathe“ Hemmer wohnen. Die Kommunardin hatte 1967 auf der berühmten Rückenakt-Fotografie der Kommune I nackt posiert. „[I]n zwei netten Zimmern bei freundlichen Leuten, Bekannten von uns“, so beschreibt Ensslins langjähriger Verlobter Bernward Vesper im März 1968 Helmut Ensslin, dem Vater der Terroristin und evangelischen Pfarrer, die Situation.
Obwohl Henkel noch Anfang der 1970er Jahre ein Heimkinderprojekt mit dem marxistischen Psychologen Klaus Holzkamp durchführt, entfernt er sich immer weiter von der 68er-Bewegung. Nach einem Besuch in einer katalanischen Benediktinerabtei in Montserrat konvertiert er zum katholischen Glauben und wird fortan häufig als katholischer Künstler wahrgenommen.
So berichtet das Petrusblatt, die ehemalige Kirchenzeitung für das Bistum Berlin, dass Henkel 1985 anlässlich einer Ausstellung in der „Berlinischen Galerie“ sogar als „Repräsentant[en] einer,Gegenreformation' mitten im protestantischen Berlin“ vorgestellt wurde.
Henkel gehört schließlich 1987 dem Gründungsbeirat der Berliner Guardini-Stiftung an, die bis heute das Andenken des katholischen Religionsphilosophen Romano Guardini pflegt. Allerdings stirbt der Künstler schon im Juli 1988 unerwartet an einem Aneurysma der Bauchschlagader.
Die spirituelle Bewegung suchen
In seiner Grabrede für Henkel hebt Eberhard Roters, der Gründungsdirektor der „Berlinischen Galerie“, noch mal mit Blick auf Henkels Spätwerk das religiöse Anliegen seines künstlerischen Schaffens hervor: „Sie geben […] Einblicke in die Lichter des Himmels, nicht in das äußere Firmament, sondern in das bewegte innere Firmament der Seele und des Geistes, durch das wir mit den großen Bewegungen der Ewigkeit verbunden sind […].“
Was das genau heißt, verdeutlicht Henkel 1983 in einem Gespräch mit dem Sender Freies Berlin. Darin vergleicht er seine Bilder unter anderem mit einem „Goldgrund der alten Ikonen, in denen etwas erscheint“, oder einem frühmittelalterlichen Codex, der mit Edelsteinen besetzt ist. Die künstlerische Oberfläche soll den Blick für das öffnen, was „hinter den Dingen“ liegt. Jede sinnliche Erfahrung könne ins Visionäre umschlagen.
Henkel verstand seine Kunst daher auch als „Schule des Sehens“: Sie soll den Blick und die Aufmerksamkeit der Betrachter*innen verfeinern. Das gelte aber nicht nur für Bilder in einer Galerie, sondern auch für Orte der künstlerischen Meditation im öffentlichen Raum: „Ich finde das sehr, sehr wichtig, dass Kunst im Stadtraum zur Vertiefung anregt.“
In enger Zusammenarbeit mit dem Architekten Bodo Fleischer schuf Henkel ab Mitte der 1960er-Jahre in Westberlin mehrere Orte, die eine solche Versenkung ermöglichen. Ein Beispiel ist das Eva-Maria-Buch-Haus (1975-1978) nahe der U-Bahnstation Alt-Tempelhof, in dem sich heute die Bezirkszentralbibliothek von Tempelhof-Schöneberg befindet. Auf den ersten Blick dominieren Beton und türkisfarbene Fensterrahmen das Erscheinungsbild des Gebäudes. Wer das Gebäude aufmerksam betrachtet, wird aber auch Manfred Henkels großflächige Mosaike entdecken, die an der Außenfassade des Gebäudes angebracht sind. Es sind unterschiedlich große Steine in bunten Farben, die vom Künstler unregelmäßig zu schwungvollen Paneelen zusammengesetzt wurden.
Leider ist die Zeit nicht spurlos am Gebäude und seinem Außenschmuck vorbeigegangen. Manchmal versperrt Gestrüpp den Betrachter*innen den Blick. Wer sich aber auf diese „Schule des Sehens“ einlässt, nimmt nicht nur das Gebäude selbst, sondern auch die Straßenzüge auf dem Rückweg zum U-Bahnhof intensiver wahr.
Eisdiele mit Patina
Ganz anders sieht Henkels urbane Kunst im Wedding, in der Müllerstraße 156d, aus. Passant*innen übersehen das vier Meter und 98 Zentimeter breite Gebäude zwischen seinen etwas imposanteren Nachbarn schnell. Es wurde Ende des 19. Jahrhunderts erbaut und soll mit etwa vier Metern Breite das schmalste Haus Berlins sein. Im Erdgeschoss befindet sich seit 1977 eine italienische Eisdiele. Der Charme des alten Westberlin entfaltet dort seine ganze Wirkung.
Allerdings unterscheidet sich das Haus nicht nur durch seine Maße von den anderen Gebäuden des Straßenzugs. Während die Fassaden seiner Nachbarn nüchtern in Gelb oder Blau gehalten sind, ranken sich an der ockergelben Müllerstraße 156d zarte Malereien nach oben, die Henkel 1976 entwarf.
Da die Fassade inzwischen etwas gelitten hat, lässt sich nicht mehr klar erkennen, was der Künstler Henkel bei diesen Ornamenten im Sinn hatte: Arme, Zweige oder gar engelshafte Gestalten? Ihr Effekt ähnelt jedoch dem der Mosaiken am Eva-Maria-Buch-Haus. Die Betrachter*innen werden durch sie darauf gestoßen, in der Außenfassade etwas Höheres zu erkennen. Es kann sich also lohnen, der „Kunst am Bau“ im Geiste Manfred Henkels mehr Aufmerksamkeit zu widmen: Vielleicht stellt sich dann sogar eine Vision ein.
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