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Vergessene Vergangenheit

■ Japan verdrängt seine Kriegsverbrechen

Ist mit dem Ende der Trauerzeit um Kaiser Hirohito die Kriegsschuld Japans nun endgültig vergessen? War der alte Monarch nicht der letzte, der das Land mit seiner grausamen Vergangenheit verband? Hatte sich nicht gerade an seiner Rolle im Krieg immer wieder die Diskussion um die japanische Verantwortung am Völkermord in China und Südostasien entzündet?

So strahlend hell jetzt manche die anbrechende Kaiserära zeichnen möchten, so dunkel und undurchsichtig bleiben den meisten Japanern, vor allem den jüngeren Generationen, die Schrecken ihrer Vergangenheit. Über den Massenmord in Nanking 1937, als rund 200.000 chinesische Zivilisten in wenigen Tagen wahllos niedergemetzelt wurden, darf an Japans Schulen nicht gesprochen werden. Als ein neuer Schulbuchentwurf Anfang der 80er Jahre den japanischen Angriffskrieg auf China als „Eroberung“ bezeichnete, zog ihn das Erziehungsministerium umgehend zurück. Seitdem ist im Geschichtsunterricht nur noch vom Einmarsch japanischer Truppen die Rede. Andere düstere Kapitel der Kriegsgeschichte bleiben völlig unerwähnt. So hat die Menschenvernichtung in der Mandschurei durch bakterielle Kampfstoffe nach der offiziellen Geschichtsschreibung nie stattgefunden.

Noch heute leiden große Bevölkerungsgruppen unter der verdrängten Vergangenheit. Mit am härtesten betroffen sind die 700.000 in Japan lebenden Koreaner, von denen die Mehrzahl während der Kriegszeit nach Nippon zur Zwangsarbeit verschleppt wurde. Niemals erhielten sie eine Entschädigung, und noch ihren Enkelkindern wird die volle Staatsangehörigkeit verweigert. Viele Japaner fühlen sich den Koreanern überlegen, auf offener Straße werden koreanische Kinder gewalttätig angegriffen.

Ihren größten Sieg trugen die japanischen Revisionisten im Tokioter Erziehungsministerium im letzten Jahr davon. Sie erreichten, daß mit Beginn der neuen Kaiserära die alte japanische Nationalhymne, die den Tenno ehrt, bei allen Abschlußzeremonien an Mittel- und Oberschulen erneut gesungen werden muß. Wer nicht mitsingt, wird bestraft. Trotzdem protestierten Schüler auf Japans südlichster Insel Okinawa. Dort hatte die kaiserliche Armee eine ihrer letzten und grausamsten Schlachten geliefert.

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