: Vergangenheitsbewältigung auf Türkisch
■ Zu einer Diskussionsveranstaltung über den Völkermord an den Armeniern hatte am Dienstagabend der vom türkischen Konsul betreute türkische Studentenverband Hamburgs eingeladen / Der Begriff Genozid wurde dabei umgangen
Aus Hamburg Fouad Hamdan
Die schicken türkischen Yuppies im „Haus der Patriotischen Gesellschaft“ haben es gut organisiert. Adrett, mit geschmackvollen Schlipps und Kragen, weisen sie die eingeladenen Gäste auf ihre Plätze. Einer von ihnen, Yildirin Goskun, gibt zu, daß „hauptsächlich bestimmte Kreise eingeladen wurden, damit alles unter Kontrolle bleibt“. Diese auserwählten Kreise - so gut wie nur Türken - sollen nämlich ohne viele Gegenargumente Professor Mumtaz Soyzal zuhören, der zum Thema „die Beziehungen zwischen Türken und Armeniern aus historischer und heutiger Sicht“ referiert. Soyzal, von der politologischen Fakultät an der Universität Ankara, begann mit viel Lob für das armenische Volk: Es sei „arbeitswillig und geschickt in Kunst und Handwerk. Türken und Armenier lebten Jahrhunderte lang ohne nennenswerte Schwierigkeiten zusammen, dann diese Massaker 1915/16“. Gekommen sei er in die Hansestadt, um „diese Tragödie objektiv zu erläutern“, denn er sei „immer noch schockiert über zahlreiche Geschichtsbücher in der Welt, die ein falsches Bild über die damaligen Ereignisse vermitteln“. Mit den Ereignissen meint Soyzal die systematische Ausrottung der Armenier in ihrem Stammland, dem Osten der heutigen Türkei. 1,5 Millionen Armenier wurden ermordet. Die wichtigsten Thesen des Professors lassen sich kurz zusammenfassen: „Die Hauptschuldigen an den Massakern waren die damaligen Großmächte Rußland und Großbritanien, die die Armenier ausnutzten, um das Osmanische Reich zu schwächen. Es handelte sich 1915/16 um gegenseitige Massaker zwischen Türken und Armenier. Von allen Seiten angegriffen, konnte das türkische Reich keine feindliche Bevölkerung hinter den Fronten tolerieren, deshalb wurden die Armenier nach Syrien und Mesopotamien evakuiert“. Er besteht darauf, das Wort „Evakuierung“ und nicht „Deportation“ zu verwenden. Soyzal gibt zu - eine Seltenheit auf türkischer Seite - : Die „Verhältnisse waren so, daß viele Hunderttausende während der Evakuierung starben“. Er warnt aber dann entschieden davor, das „Wort Genozid für die armenische Tragödie zu verwenden“. Denn, so Soyzal, es war kein politischer Wille, kein Befehl von oben, die Armenier umzubringen“. Aufregung bei armenischen Zuhörern, die nur darauf warten, zu Wort zu kommen. Von der taz wurde Soyzal gebeten, zu den Dokumenten Stellung zu nehmen (Briefe und Lageberichte von deutschen Diplomaten aus dem osmanischen Reich 1915/16 nach Berlin), die beweisen, daß die türkische Führung „den Ersten Weltkrieg dazu benützen wolllte, um mit ihren inneren Feinden - den einheimischen Christen - gründlich aufzuräumen“. Seine lapidare Antwort: „Ähnliche wichtige türkische Dokumente müssen berücksichtigt werden. Und überhaupt, diese Diplomatenberichte wurden zum Teil von Armeniern und Griechen übersetzt“. Auf den Hinweis, daß es sich um deutsche Berichte handele, die von niemanden übersetzt wurden, die sogar türkische Führer wie den damaligen Innenminister Talaat Bey, der die Massaker angeordnet hat, zitieren und die im Auswärtigen Amt in Bonn unter der Akten „Türkei 183“ (Band 36 bis 46) zu lesen sind, geht er nicht mehr ein. In der anschließenden Diskussion kritisieren armenische Zuhörer die „Oberflächlichkeit“ des Vortrages und empören sich über die „Erwähnung im gleichen Atemzug von toten Armeniern und toten türkischen Soldaten“. Gewiß ist Soyzal einer der ersten Türken, der so weit geht und die damalige osmanische Politik kritisiert. Andererseits relativiert er wieder alles in dem Satz: „Je mehr wir uns objektiv um die Wahrheitssuche bemühen, um so mehr stellen wir fest, daß wir uns wegen nichts schämen müssen“. Siebzig Jahre nach dem von aller Welt anerkannten Genozid - Vergangenheitsbewältigung auf Türkisch.
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